War das Grab Jesu am Ostermorgen leer? Und ist das überhaupt wichtig?

Horst Heller
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Ich könnte es mir leicht machen und sagen: Wir wissen es nicht. Die Überwachungskameras waren sich mit Beginn des Sabbats ausgestellt worden. Die Wahrheit ist nicht mehr herauszufinden. Was aber nicht mehr aufzuklären ist, sollte uns auch nicht beschäftigen.

Auch einen zweiten Vorwurf könnte ich mir mit der Frage der Überschrift einhandeln. Die Theologie des Geschehens am Ostermorgen sei doch mit Mitteln der Geschichtsschreibung gar nicht zu erfassen. Sagte doch einst schon der schlesische Theologe und Arzt Angelus Silesius zum Weihnachtsfest: Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren – und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren. Für Ostern könnte das heißen: Die theologische Wahrheit ist entweder existenziell, oder sie ist belanglos.

Beide Einwände sind nicht von der Hand zu weisen. Doch die Evangelien erzählen in großer Übereinstimmung davon, dass der Leichnam Jesu am Ostermorgen nicht mehr im Grab war. Ich will wissen, ob das plausibel ist. Und ob es wichtig ist.

Fragen wir also nach bei den antiken Gegnern des christlichen Glaubens. Gibt es Zeugnisse, die das Grab Jesu kannten und den Christen sagen konnten: „Was redet ihr von Auferstehung? Kommt und seht, hier liegt er doch!“ Nein. Solche spöttischen Kommentare sind nicht überliefert.

Im Gegenteil. „Kommt und seht!“ Dieser Satz findet sich im Neuen Testament.

Kommt und seht! Hier ist die Stelle, wo er gelegen hat!
Matthäus 28,6

Ich schließe daraus, dass es Menschen gab, die den Ort lokalisieren konnten, wo Jesus bestattet worden war, und die Gemeinde einluden, sie aufzusuchen. Vielleicht war dieser Satz sogar Teil einer österlichen Liturgie. Ich stelle mir vor, dass die Gemeinde in Jerusalem nach dem Ende dieses Gottesdienstes mit diesem Satz auf den Lippen zu der Stelle pilgerte, wo der tote Jesus gelegen hatte.

Nehmen wir also einmal an, das Grab wäre wirklich leer gewesen, zumindest am Ostermorgen. Bedeutet das, dass damit der Nachweis einer leiblichen Auferstehung Christi erbracht ist? Nein, denn ein leeres Grab kann andere Ursachen haben. Der Leichnam könnte gestohlen worden sein. Dieser Vorwurf wurde auch den Christen gemacht, sein Niederschlag findet sich im Neuen Testament.

Während die Frauen noch auf dem Weg waren, liefen einige der Wächter in die Stadt. Sie meldeten den führenden Priestern alles, was geschehen war. Diese fassten gemeinsam mit den Ratsältesten einen Beschluss über das weitere Vorgehen: Sie gaben den Soldaten viel Geld und forderten sie auf: „Erzählt allen: Seine Jünger sind in der Nacht gekommen. Als wir schliefen, haben sie den Leichnam gestohlen. Wenn Pilatus davon hört, werden wir mit ihm sprechen. Wir werden dafür sorgen, dass ihr nichts zu befürchten habt.“ Die Soldaten nahmen das Geld und erfüllten ihren Auftrag. So ist dieses Gerücht entstanden, das sich bis heute … hält.
Matthäus 28,11-15

Ein Zwischenfazit: Im Felsengrab, in das man den toten Körper Jesu gerade noch rechtzeitig vor Sonnenuntergang gebettet hatte, war dieser am Ostermorgen nicht mehr.

Dazu passt der Hinweis in allen Evangelien, dass der Anblick des leeren Grabes zunächst gar keinen Glauben, sondern Unverständnis, ja Angst und Schrecken verursachte. Erst mit den visionären Begegnungen nahm der Osterglaube seinen Anfang.

Wie können wir uns die Ostererscheinungen vorstellen? Maria Magdalena wurde in der alten Kirche verehrt, weil sie die erste war, die eine solche Erscheinung hatte. Paulus zählt die Namen derer auf, die Visionen des Auferstanden hatten. (Den Namen der Maria Magdalena verschweigt er uns allerdings. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Christus hat sich Kephas (Simon Petrus) gezeigt, danach auch den Zwölf. Später zeigte er sich über fünfhundert Brüdern und Schwestern auf einmal. Die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind aber gestorben. Danach hat er sich Jakobus (Jesu leiblicher Bruder) gezeigt, schließlich allen Aposteln. Ganz zuletzt hat er sich auch mir gezeigt.
1 Korinther 15,5-8

„Er zeigte sich.“ Der Auferstandene begegnete also einer begrenzten Zahl von Gläubigen. Er trat unvermittelt ein, grüßte mit „Friede sei mit euch!“ – ein Gruß, den die Gemeinde in ihren Gottesdienst aufnahm – und entschwand so geheimnisvoll, wie er gekommen ist. Zeugnisse Unbeteiligter für diese Erlebnisse gibt es nicht. Historisch fassbar ist aber die lebensverändernde Wirkung der österlichen Erscheinungen. Traurigkeit und Mutlosigkeit waren wie weggeblasen und kehrten nicht mehr zurück.

Fassen wir zusammen: Offenbar war der Leichnam Jesu nicht mehr in dem Grab, in das man ihn zwei Tage vorher gelegt hatte. Die Entdeckung des leeren Grabes verschlimmert aber zunächst die Situation der Follower Jesu. Erst als einigen von ihnen österliche Visionen zuteilwerden, entsteht der Glaube an den auferstandenen Christus. „Die Auferstehung“ ist also kein historisches Faktum wie sein Tod. Auch wenn das Grab leer war, war das erste Osterfest eine spirituelle Erfahrung, allerdings mit Folgen, die die Weltgeschichte veränderten.

Ein Nachtrag: Die Menschen, denen Jesus begegnete, berührten ihn nicht. Der Auferstandene hatte keinen physischen Körper, weshalb der Eindruck entstand, dass er durch verschlossene Türen eintrat. „Rühre mich nicht an“, sagte Jesus auch zu Maria Magdalena.

Ein möglicher Einwand: Gibt es da nicht eine Geschichte, die der italienische Maler Caravaggio so unübertroffen dargestellt hat? Wollte nicht Thomas, einer der Jünger, die Hände in Jesu Wunden legen? Und bot ihm Jesus nicht an, genau das zu tun? Lesen wir die Geschichte genau!

Thomas … gehörte zum Kreis der Zwölf. Er war nicht bei ihnen gewesen, als Jesus gekommen war. Die anderen Jünger berichteten ihm: „Wir haben den Herrn gesehen!“ Er entgegnete ihnen: „Erst will ich selbst die Wunden von den Nägeln an seinen Händen sehen. Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen. Sonst kann ich das nicht glauben!“
Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander. Diesmal war Thomas bei ihnen. Wieder waren die Türen verschlossen. Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: „Friede sei mit euch!“ Dann sagte er zu Thomas: „Leg deinen Finger hierher und sieh meine Hände an. Streck deine Hand aus und leg sie in die Wunde an meiner Seite. Sei nicht länger ungläubig, sondern komm zum Glauben!“
Thomas antwortete: „Mein Herr und mein Gott!“
Johannes 20,24-28

So wird es im Johannesevangelium erzählt. Ich habe nichts ausgelassen. Anders als Caravaggio es malt, macht Thomas die Probe mit dem Finger gerade nicht. Er ist – wie zuvor schon die anderen – beeindruckt von dieser Vision. Er glaubt, ohne den Auferstandenen zu berühren.

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Ein Gedanke zu “War das Grab Jesu am Ostermorgen leer? Und ist das überhaupt wichtig?

  1. Lieber Horst,

    wieder einmal herzlichen Dank für Deine Gedanken, ich finde sie sehr anregend und gut.

    Herzlich Dein Andreas

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