
Die Reformation fand im 16. Jahrhundert statt. Aber wir spüren es: Beide Konfessionen, auch die Kirchen der Reformation, bedürfen weiterer reformatorischer Impulse. Im Jubiläumsjahr 2017 bekam dieser Prozess neuen Schwung. Heute scheint es, als seien beide Kirchen wieder mit sich selbst beschäftigt. Die katholische Kirche mit dem Synodalen Weg, die Evangelische Kirche mit Struktur- und Personalfragen.
Das theologische Motto Ecclesia semper reformanda ist übrigens nicht lutherisch. Er stammt aus einem Vortrag des reformierten Theologen Karl Barth aus dem Jahr 1947. Wie deutete der Baseler Professor diesen Leitsatz? Er grenzte sich zunächst von der optimistisch-evolutionären Vorstellung ab, dass sich die Kirche durch eine andauernde Reformation selbst reinigen könne. Für Barth war es allein die Gnade Gottes, die die Kirche reformierte.
Aber damit sind die Kirchen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Was spricht eigentlich dagegen, dass sie sie gemeinsam wahrnehmen?
Der gemeinsame Weg der ecclesia semper reformanda könnte sich an den folgenden drei A’s orientieren:
Aufmerksam auf die Bibel: Sie ist eine gemeinsame, aber vielfältige und inspirierende Quelle, die es – unbeschadet der unterschiedlichen konfessionellen Dogmatik – neu zu entdecken gilt. Sie hat mehr zu bieten als die Perikopen der gottesdienstlichen Lesungen.
Achtsam auf die Welt und die Menschen: Die Gesunden brauchen keinen Arzt. Die Kirche ist für diejenigen da, an die sich das Evangelium richtet: Einsame, Flüchtlinge, Frauen, Kinder, Benachteiligte und Menschen, denen keine Gerechtigkeit widerfährt. Diese Bevorzugung der Armen ist ein Auftrag in der Nachfolge Jesu. Er ging zu denen, die andere nicht als vollwertigen Teil ihrer Community ansahen.
Aufeinander zu: Reformierte, katholische, orthodoxe, lutherische und freikirchliche Christinnen und Christen haben ihre Ansichten zu Sakramenten, zum kirchlichen Amt und überhaupt zur Kirche. Vielleicht wird es nicht gelingen, die Unterschiede, von denen behauptet wird, sie seien kirchentrennend, zu überwinden. Aber Heterogenität ist in der Welt des 21. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit. Es ist normal, verschieden zu sein. Das gilt auch für die Kirchen. In versöhnter Unterschiedlichkeit können sie Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen ansprechen. Dabei kann ihre gemeinsame Stimme in der Welt hörbar sein.
Eine Voraussetzung ist allerdings unerlässlich: Am Tisch des Herrn heißen Christinnen und Christen einander willkommen. Es gibt kein katholisches und kein evangelisches Abendmahl, auch wenn ihre Deutungen konfessionell bedingt unterschiedlich sind. Zu den Festmählern Jesu stießen immer wieder Menschen, die dort nicht gern gesehen waren. Ja, Jesus selbst suchte ihre Nähe und feierte mit ihnen. Selbst beim Letzten Abendmahl war der anwesend, der anschließend hinausging und ihn verriet.
Blogbeiträge zum Thema auf www. horstheller.de
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16.02.2020: Alles Luther oder was? Fünf Gründe, den Wittenberger Reformator nicht zu verehren, fünf Gründe es doch zu tun.
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