Wetten, dass Gott existiert? Acht kritische Fragen an Blaise Pascal

Horst Heller
Dieser Beitrag als PDF

Der Mathematiker Blaise Pascal (1623-1662) versuchte vor über 300 Jahren in einem Schreibgespräch, einen agnostischem Zeitgenossen von der Existenz Gottes zu überzeugen. Es sei vernünftig, auch ohne Beweise an ihn zu glauben. Dieser Blogbeitrag erzählt Teile seines anspruchsvollen Gedankendialogs in einfachen Worten nach und stellt ihm einige Fragen.

Agnostiker
Gott lässt sich nicht beweisen. Auch die Bibel versucht das nicht. Deshalb glaube ich nicht an ihn. Ich fände es unvernünftig. Falls es Gott doch gibt, ist er unendlich fern von mir. Warum sollte ich mir über ihn Gedanken machen?

Blaise Pascal
Von den Gottesbeweisen des Mittelalters halte ich auch nichts. Und Gottes Unendlichkeit werden wir nie begreifen. Soweit stimme ich dir zu. Aber lass uns über eine Wette nachdenken. Ich wette, dass es Gott gibt, du hältst dagegen. Was meinst du?

Agnostiker
Warum sollte ich mit dir wetten?

Blaise Pascal
Es ist eine Wette in Gedanken. Ich werde dir zeigen, dass es vernünftiger ist, an Gott zu glauben als zu denken, dass es ihn nicht gibt. Ich werde nicht theologisch argumentieren, denn das überzeugt dich nicht. Lass uns also logisch denken. Du sagst, es sei nicht möglich, herauszufinden, ob es einen Gott gibt. Aber eines musst du anerkennen: Entweder gibt es ihn oder es gibt ihn nicht. Eine dritte Möglichkeit ist ausgeschlossen, oder?

Agnostiker
Sprich weiter!

Blaise Pascal
Jedenfalls wirst du mir zustimmen, dass Menschen eine der beiden Möglichkeiten wählen können. Und du kannst die, die sich für den Glauben an Gott entschieden haben, nicht kritisieren. Denn es wird dir nicht gelingen nachzuweisen, dass sie im Irrtum sind. Du bist wie ich ein vernünftiger Mensch.

Agnostiker
Ich werfe ihnen nicht vor, dass sie sich für das Falsche entschieden haben, sondern dass sie sich überhaupt entschieden haben.

Blaise Pascal
Du willst dich also nicht entscheiden? Wer sich nicht entscheidet, hat sich schon entschieden. Er lebt, als ob es Gott nicht gibt. Ich werde es dir erklären. Lass uns aber zuerst überlegen: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich die Wette gewinne?

Agnostiker
Es ist unmöglich, darüber etwas Vernünftiges zu sagen.

Blaise Pascal
Du hast Recht.
Du kannst ebenso gewinnen wie ich. Solange wir keine Hinweise auf die richtige Antwort bekommen, steht es fünfzig zu fünfzig.
Wie aber ist es mit dem Wetteinsatz? Wenn sich am Ende meines Lebens herausstellt, dass es Gott gibt, erwartet mich die ewige Seligkeit. Sie ist der Lohn dafür, dass ich ohne Beweise an Gott geglaubt habe. Gibt es aber keinen Gott, dann habe ich zwar nichts gewonnen, aber auch nichts verloren. Ist es da nicht besser, an Gott zu glauben?
Und nun erwägen wir die andere Möglichkeit. Zeigt sich am Ende des Lebens, dass du recht hattest, was hast du dann gewonnen? Nichts. Gibt es aber doch einen Gott, hast du ein Problem: Er wird dich fragen, warum du nicht an ihn geglaubt hast. Das wird dich beschämen.
Setze also besser darauf, dass es Gott gibt. Denn wenn es ihn gibt, kannst du unendlich viel gewinnen. Gibt es aber keinen Gott, verlierst du nichts.

Blaise Pascals Dialog in der Originalversion findet sich hier


Lieber Blaise Pascal,

du lebtest im 17., ich im 21. Jahrhundert. Agnostiker gab es offenbar schon in deiner Zeit. Dein großes Werk hast du Pensées („Gedanken“) genannt. Es ist eine Einladung zum Denken. Ich nehme sie an und denke mit dir zusammen nach. Einiges finde ich sehr interessant, aber ich habe auch kritische Rückfragen.

1.
Ich schätze, dass du die sogenannten Gottesbeweise des Mittelalters mit einem Federstrich vom Tisch wischst. Dein Argument drücke ich einmal mit meinen Worten aus: „Wen sie nicht überzeugen, den überzeugen sie eben nicht.“ Und mit deiner Wette ist es wie in einem sportlichen Wettkampf zweier völlig unbekannter Mannschaften. Solange wir nichts über sie in Erfahrung bringen können, liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg einer der beiden Mannschaften jeweils bei 50 Prozent.

2.
Wir wissen also nicht, wer die Wette gewinnt. Deshalb ist der Agnostizismus deines Gesprächspartners auch für mich nicht plausibler ist als dein Glaube. Dass wir über die Transzendenz keine vernunftgestützten Aussagen machen können, bedeutet ja nicht, dass es keine Transzendenz gibt. Die Ameise glaubt vielleicht auch nicht daran, dass es mehr als zwei Dimensionen gibt. Einen Dialog zweier Ameisen könnte ich mir so vorstellen: Ameise 1: „Die Welt ist zweidimensional, alles andere ist unwissenschaftlich!“ Ameise 2: „Du hast vielleicht recht, aber es könnte auch sein, dass wir sie nur nicht sehen können.“

3.
Aber was macht dich so sicher, dass Gott Menschen dafür belohnt, dass sie an ihn geglaubt haben? Meinst du nicht, es liegt ihm mehr daran, dass seine Geschöpfe Nächstenliebe und Barmherzigkeit üben und die Welt ein wenig besser machen? Sollte er, wenn er schon belohnt und bestraft, nicht eher darüber urteilen, ob sie das Gute getan und das Böse unterlassen haben?

4.
Und glaubst du wirklich, dass Gott will, dass die Menschen an ihn glauben? Ist das nicht ein bisschen klein gedacht? Meinst du, er sei sich seiner selbst so unsicher, dass er den Glauben der Menschen und ihre Gebete braucht?

5.
Ich kann den Agnostiker sehr gut verstehen. Denn selbst wenn Gott so ist, wie du dir ihn dir vorstellst: Was wäre gewonnen, wenn er durch deine Argumentation überzeugt würde? Wäre sein Glaube dann nicht berechnend? Selbst wenn er, von deiner Logik überredet, beginnen würde, in der Bibel zu lesen und Gebete zu sprechen: Bist du sicher, dass Gott Menschen schätzt, die ihre Einstellungen ändern, weil sie auf eine Belohnung hoffen? Könnte es nicht sein, dass Gott Opportunisten gar nicht mag?

6.
Mir gefällt übrigens gar nicht, wie du von Gott sprichst. Dein Wettangebot wirkt auf mich so, als ob das Jenseitige und das Diesseitige sich nicht begegnen könnten, als ob die Menschen von der Gegenwart Gottes, an den du glaubst, gar nicht berührt werden könnten. Wenn es Gott gibt, dann möchte ich doch glauben, dass auch in diesem Leben schon etwas von seiner Liebe zu ahnen und von seiner Güte zu spüren ist. Dann könnte ich auch jetzt schon die Welt schon ein wenig durch seine Brille ansehen.

7.
Ich weiß, du warst ein Mathematiker. Deshalb war es dir wichtig, dass dein Glaube menschlicher Vernunft nicht widerspricht. Trotzdem war auch für dich der Glaube mehr als das Ergebnis einer logischen Überlegung, sondern eine Lebensfrage. In deinem umfangreichen Werk hast du das immer wieder unterstrichen. Nur in deinem Dialog mit dem Agnostiker spielt das keine Rolle. Schade!

8.
Und schließlich: Wenn du heute leben würdest, würde ich dich bitten, deinem Freund mehr Gehör zu schenken. Dann würde er auch selbst zu Wort kommen und du könntest versuchen zu verstehen, warum er ein Agnostiker geworden ist. Vielleicht würde er dir sagen, dass er nicht sein ganzes Leben lang auf eine ungesicherte Hypothese bauen möchte. Vielleicht würdest du dann ahnen, dass Glauben auch für ihn keine rationale Willensentscheidung ist, sondern ein Geschenk, dass ihm (du würdest sagen: leider) nicht widerfahren ist.

Vielleicht könntest du in einem solchen Gespräch auch erzählen, welches Ereignis dich dazu gebracht hat, dein Leben nicht nur der Mathematik, sondern auch dem Glauben zu widmen. Vielleicht hätte das dein Freund auch gerne erfahren. Mich interessiert dein spirituelles Erlebnis aus der Nacht vom 23. zum 24. November 1654. Du beschriebst es auf einem geheimnisvollen Zettel, den du dir in dein Gewand einnähen ließest. Erst nach deinem Tod im Alter von 39 Jahren hat dein Diener ihn entdeckt. Was war das für ein mystisches Feuer, das du beschrieben hast?

„Im Jahr der Gnade 1654, am Tag des heiligen Klemens und am Vorabend des Tages des heiligen Chrysogonos. Von ungefähr halb elf abends bis eine halbe Stunde nach Mitternacht Feuer. Gott Abrahams, Gott Isaaks, Gott Jakobs, nicht der Philosophen und Gelehrten….“

Literatur und Links
Blaise Pascal: „Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände“, Berlin 1840, S. 244-252.
Herbert Lölkes: 23.11.1654 – Blaise Pascal hat ein religiöses Bekehrungserlebnis. SWR2 Zeitwort

Weitere Blogbeiträge auf www.horstheller.de
17.07.2020: Frida Kahlo und das Lernen am gelebten Leben. Biografische und pädagogische Notizen
14.11.2021: Am Volkstrauertag denke ich an Hugo. Er starb nicht für Deutschland. Er starb.
29.10.2022: Benedikt und andere Heilige. Eine evangelisch-religionspädagogische Überlegung
26.02.2023: „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben.“ Aspekte einer zeitgemäßen Schöpfungsdidaktik
04.03.2023: Die Freiheit der Religionsausübung ist immer auch die Freiheit der anderen. Die christliche Kirche hätte früher von Kaiser Konstantin lernen können
26.11.2023: Die wohltuende Kraft des Rings. Die Wahrheit der Religionen zeigt sich an ihrer Friedfertigkeit
01.01.2024: I wie Influencer. Oder: Was ist Religionsunterricht mit Gesicht? Zehn Thesen
12.05.2024: Wer nie traurig war, weiß nicht, wie es ist, getröstet zu werden. Religionspädagogische Schlüssel zu den Seligpreisungen Jesu.


Hinterlasse einen Kommentar