„Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben.“ Aspekte einer zeitgemäßen Schöpfungsdidaktik

Horst Heller: (CC BY-SA 4.0: Verwendung mit Namensnennung des Autors und unter gleichen Bedingungen ausdrücklich erlaubt.
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Das Wort einer zeitgemäßen Religionsdidaktik mag ich eigentlich nicht. Doch die Schöpfungsthemen des Unterrichts stammen weitgehend aus einer Zeit, in der die globale Krise noch nicht unser Bewusstsein bestimmte. Die neuen Herausforderungen machen neue didaktische Zugänge erforderlich. Alte – möglicherweise viele Jahre lang bewährte – Unterrichtsinhalte verlieren an Bedeutung.

Was wird weniger wichtig? Die Schöpfungserzählung 1 Mose 1 als Beispiel
Ich habe noch gelernt, das 2500 Jahre alte Gedicht mit Hilfe eines noch älteren Mythos aus Babylon zu erschließen. Dafür gab es vielleicht früher gute Gründe. Aber mal ehrlich: Wie wichtig ist es zu verstehen, dass Sonne und Mond für den priesterlichen Autor keine Götter waren? Stellen sich heute nicht andere Fragen?
Ähnliches gilt für den Versuch, die Reihenfolge der Schöpfungswerke nach 1 Mose 1 als frühe wissenschaftliche Meisterleistung zu deuten. Ich habe Respekt für den priesterlichen Autor, der schon in der Antike die Materie entmythologisierte. Aber der Religionsunterricht sollte sich nicht dem Verdacht aussetzen, mit Bibeltexten apologetisch umzugehen.

Neue Schöpfungsdidaktik: Jahrelang bewährte Unterrichtsinhalte verlieren an Bedeutung.

Hinzu kommt der problematische Satz „Seid fruchtbar und mehret euch. Füllet die Erde und machet sie euch untertan! Herrscht über die Tiere … (1 Mose 1,28)“. Ich halte wenig davon, diese Aufforderung mit 1 Mose 2,15 zu entschärften: „Und Gott der Herr … setzte den Menschen in den Garten, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ Ehrlicher und angemessener ist eine andere Deutung: Die Menschheit hat sich die Erde längst untertan gemacht. Der Auftrag ist heute mehr als erfüllt. Dass er zu lange Maxime menschlichen Wirtschaftens war, hat der Welt die globale Krise beschert.

Auch dass Gott den Menschen als Frau und Mann (1 Mose 1,28) schuf, führt zu Nachfragen. Was ursprünglich die Gleichwertigkeit der Geschlechter und damit die Aufwertung der Frau begründete, kann heute angesichts non-binärer Personen als Ablehnung von Diversität gedeutet werden.

Ganz nebenbei: Was gar nicht mehr geht, ist die Rede vom Schöpfungsbericht. Wo sie noch gebräuchlich ist, sollte sie schnellstens beendet werden. Fast jede Benennung ist besser: Schöpfungserzählung, Schöpfungslied, Schöpfungspsalm, Schöpfungsgedicht, Schöpfungsmythos. 1 Mose 1 kann und will nichts berichten, denn kein lebendes Wesen war dabei, als die Erde entstand. Die biblischen Schöpfungserzählungen interessieren sich auch gar nicht für Vergangenes. Der Priester formuliert eine Botschaft für die Lebenden seiner Zeit: Sie stehen nach der Zerstörung des Tempels vor einem Neuanfang. Da ist es gut, vom ersten Anfang zu erzählen.

Ein Zwischenfazit
Die priesterliche Schöpfungserzählung ist zweifellos ein zentraler biblischer Text, aber sein didaktischer Wert wird überschätzt. Dass der Lebensraum des Menschen und vieler anderer Kreaturen durch den Menschen in Gefahr ist, wird in der Bibel noch nicht reflektiert. Auch sind biblische Texte weniger als früher angenommen dazu geeignet, das Verhältnis von Glauben und Denken, von Schöpfung und Weltentstehung zu erarbeiten. Das führt uns zu der Frage, wie eine zeitgemäße Schöpfungsdidaktik aussehen könnte. Hier ist ein einfacher theologischer Satz zu bedenken: Unsere Erde und das Leben auf ihr, unsere Galaxie und das mögliche Leben in ihr sowie der gesamte Kosmos sind ein absichtsvolles Werk Gottes. Was bedeutet das?


Von der Welt als Schöpfung reden. Vier Grundüberzeugungen
1. Dankbar sein für das Leben
. Ein einfaches Gedankenexperiment: Wieviel Gestirne unserer Galaxie ermöglichen Atmen, Essen, Trinken und Wohnen bis ins hohe Alter? Wir kennen bislang keinen zweiten Stern, auf dem das möglich ist. Dass wir leben und nicht nicht leben, ist ein Geschenk, das wir dankbar annehmen dürfen. Dazu haben wir als vernunftbegabte Wesen die Möglichkeit, die Schöpfung verantwortlich mitzugestalten. Noch ein Grund zur Dankbarkeit.

Der didaktische Wert der biblischen Schöpfunserzählung wird überschätzt.

2. Verantwortung für die Zukunft übernehmen. Die Schöpfung ist in Gefahr. Unser Planet braucht aber ohne Zweifel „mehr Gerechtigkeit und mehr Frieden, vor allem aber weniger Feinstaub, weniger Müll, weniger Lärm, weniger betonierte Flächen, weniger Ausgrenzung, weniger Antibiotika in der Tierhaltung, weniger Zerstörung der Artenvielfalt.“ (aus: Geliehen ist der Stern, S. 11). Die Notwendigkeit der Veränderung ist nicht mehr allein eine religiöse Pflicht, sie ist ein Gebot der Vernunft. Ein „Weiter so“ ist keine Option.

3. Global lernen, interreligiös denken. Die Kultur des globalen Nordens, die wesentlich vom „Macht euch die Erde untertan“ geprägt worden ist, hat das Zeitalter des Anthropozän herbeigeführt und die Krise verursacht. Globales Handeln erfordert deshalb eine Neuorientierung, die das christliche Verständnis von Schöpfung nicht mehr voraussetzt und interreligiöse und kapitalismuskritische Ansätze bedenkt. Im Jahr 2018 hat das Parlament der Religionen in Vancouver eine neue ethische Grundnorm formuliert, die das Handeln der Menschheit bestimmen sollte: „Du sollst nicht gierig sein!“ (aus der Erklärung zum Weltethos, S. 16)

Die neue interreligiöse Grundnorm könnte lauten: „Du sollst nicht gierig sein!“

4. Die Transformation gestalten. Wer weiß, was das Richtige ist, wird auch das Richtige tun.“ (Sokrates) Was für den Schutz des Planeten „das Richtige“ ist, ist nicht mehr wirklich strittig. Dies muss nun in das Handeln münden. Hier sind in erster Linie die Regierungen gefragt. Aber auch jede und jeder ist gefordert. Die Webseite http://www.17ziele.de nennt diese Aufgaben die Tu Du’s für dich und die Welt.


Ansätze einer neuen Schöpfungsdidaktik
1. Der konziliare Prozess
, eine christlich-ökumenische Initiative, wirbt bereits seit den 1980er Jahren für ein Ende der Ausbeutung unseres Planeten. Das christliche Ethos gebiete, so die Initiatoren, einen Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Der Konziliare Prozess ist zum Markenzeichen christlicher Weltverantwortung geworden. Allerdings ist die kirchliche Einigkeit in der Friedensfrage seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine brüchig geworden.

2. Globales Lernen ist ein Konzept, das eine pädagogische Antwort auf die Anforderungen der globalisierten Welt geben will. Entscheidend ist hier der Perspektivwechsel. Wie sich der Klimawandel anderswo anfühlt und welche Schritte aus Sicht des globalen Südens vordringlich sind, erfahren wir nur in der (digitalen) Begegnung.

3. Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) orientiert sich an der Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen (2015). Ein verantwortliches globales Handeln setzt Kompetenzen voraus, die erlernt werden müssen und können. In 169 Einzelzielen werden konkrete Orientierungen und Wege zur Umsetzung beschrieben.
Die EKD-Schrift „Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben“ (2018) kommentiert die SDGs und verbindet sie mit Grundlagen einer christlichen Schöpfungstheologie. Sie betont insbesondere, dass es eines umfassenden Kulturwandels bedarf. In ihren Praxisvorschlägen ist die Schrift in Teilen allerdings bereits überholt. Sie wendet sich vor allem an kirchlich sozialisierte Leser und ist als Ganzschrift in der Schule eher nicht zu empfehlen.

4. Die fünfte Weisung des Projekts Weltethos. Das Lebenswerk des verstorbenen katholischen Theologen Hans Küng verbindet den interreligiösen Dialog mit der Notwendigkeit einer globalen Friedensethik. Seine Kernthese lautet: Kein Weltfrieden ohne Frieden der Religionen. Mit der bereits erwähnten Erklärung des Parlaments der Religionen verabschiedeten Vertreterinnen und Vertreter von 125 Religionen der Welt (und des Neuheidentums) zwei Grundüberzeugungen und vier Weisungen. Zum 25. Jahrestag dieses Ereignisses wurde 2018 eine fünfte Weisung zur ökologischen Verantwortung der Religionen hinzugefügt. Die gesamte Erklärung ist wegen ihres Umfangs, ihrer verständlichen Sprache und ihres religiös-inklusiven Ansatzes als Text für die gymnasiale Oberstufe unbedingt empfehlenswert.

Es reicht nicht mehr aus, die Schöpfung bewahren zu wollen.

5. Paradising RU: Diese Idee ist die jüngste in der Reihe der einschlägigen didaktischen Zugänge. Das Konzept will alte theologische Narrative, so zum Beispiel die Rede vom Paradies, neu entdecken. Es reiche nicht mehr aus, die Schöpfung bewahren zu wollen. Angesichts der ökologischen Krise müsse die Sprache der Theologie überdacht werden. Das Wort Paradies könne als Chiffre für einen Leben in Frieden und in Harmonie mit der Natur neu mit Inhalt gefüllt werden. Die Initiatoren regen an, kirchliche Arbeit weniger selbstbezogen zu gestalten, und unterstreichen die Handlungskompetenz religiöser Bildung. Paradising hat seine Wurzeln in der christlichen Gemeindepädagogik. Findet es Eingang in den Religionsunterricht, wird es zu Paradising RU.
Ein eigener Blogbeitrag folgt.

Links:
Agenda 2030: https://www.bmz.de/de/agenda-2030
„Geliehen ist der Stern“: https://www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/ekd_texte_130_2018.pdf
Tu Du’s für dich und die Welt: https://www.17ziele.de
Globales Lernen: https://www.bildung-trifft-entwicklung.de/de/was-ist-globales-lernen.html
Weltethos: https://www.weltethos.org/wp-content/uploads/2022/10/weltethos-erklaerung-2018.pdf
Paradising: https://www.umkehr-zum-leben.de/asa/paradising
https://www.ekd.de/zukunft-angesichts-der-oekologischen-krise-theologie-neu-denken-65152.htm

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