Im Worms hatte sich Martin Luther im April 1521 mutig auf sein Gewissen berufen und seine. Widersacher aufgefordert, ihn durch Worte der Heiligen Schrift zu widerlegen. Andernfalls sei er in seinem Gewissen gebunden und könne nicht widerrufen. Zu Recht wird er bis heute dafür gefeiert. Bei einem Besuch in Zürich stand ich an einer Stelle, an der die evangelische Seite die Freiheit des Gewissens ihren Gegnern nicht zugestehen wollte.

Das Opfer war Felix Manz, unehelicher Sohn eines Züricher Geistlichen. Zusammen mit Konrad Grebel war er ein Anhänger Huldrych Zwinglis, forderte aber eine umfassendere Kirchenreform als er.
Das Jahr 1524 in Zürich war geprägt von einem Streit um die Pflicht zur Kindertaufe. Zusammen mit Gleichgesinnten hatten sich Manz und Grebel auf die Suche nach dem biblischen Fundament der Kindertaufe gemacht und – wenig erstaunlich – dort nichts gefunden. Sie schlossen daraus, dass sie „von Päpsten eingeführt“ und somit schädliche Irrlehre sei. Sie forderten ihr Verbot und verlangten die „Glaubenstaufe“ Erwachsener.
Das rief den Rat der Stadt auf den Plan, der in der Taufverweigerung einen revolutionären Umtrieb sah. Er hatte zwar die Prediger der Stadt angewiesen, das Evangelium im Sinne Zwinglis zu predigen, aber die Auflösung der Klöster und die Abschaffung des Zölibats waren noch nicht beschlossen und das Abendmahl wurde noch nicht in beiderlei Gestalt gefeiert. Manz und die Seinen verlangten Fortschritte und zusätzlich eine Abkehr von der Taufe Neugeborener. Sie beriefen sich auf die Bibel, die sie aufgrund ihrer umfassenden Bildung in der Ursprache lesen konnten. Zwingli, der einflussreiche Leutpriester am Großmünster forcierte die umfassende Kirchenreform, setzte aber wie Luther auf die weltliche Obrigkeit, um die Änderungen durchzusetzen. In der Frage der Kindertaufe war er anderer Meinung als Manz und Grebel.
Für den Herbst 1524 hatte der Rat öffentliche und nicht öffentliche Disputationen in der Streitfrage angesetzt. Die Gespräche verliefen für die Gegner der Kindertaufe unbefriedigend. Sie kamen ihrer Meinung nach nicht ausreichend zu Wort und verlangten, die Diskussion schriftlich fortzusetzen. In einer „Protestation und Schutzschrift an den Rat von Zürich“ beklagte Manz im Dezember 1524 die ungleichen Redezeiten und legte die Position der „Taufgesinnten“ ausführlich dar. Zugleich verwahrte er sich gegen den Vorwurf des Aufruhrs.

„Ich möchte eure Weisheit auch um Folgendes gebeten haben: Da Meister Ulrich (Zwingli) meint, er könne die Kindertaufe, die von den Päpsten erdacht wurde, … mit der Heiligen Schrift beweisen, … möchte ich euer Weisheit aufs Allerfleißigste gebeten haben, dass er das schriftlich tue, wie er es immer wieder allen gegenüber angeboten hat, mit denen er zu tun gehabt hat. Ich will ihm gütlich zuhören und antworten. Reden tue ich nicht gern, kann es auch nicht. Denn er hat mich früher so oft mit viel Reden überfallen, dass ich ihm nicht habe antworten können oder durch sein langes Reden zu Antwort nicht gekommen bin. …
Als ein Bürger rufe ich also euch, meine gnädigen liebe Herren und Brüder, an und erkläre hiermit auch feierlich, dass ich solcher Meinung und Auffassung bin und das nicht ohne besondere Gründe aus Heiliger und göttlicher Schrift. Ist nun irgendeiner, sei er wie er will, der auf Grund göttlicher Schrift der Meinung ist, dass man junge und neugeborene Kinder taufen soll, der mag das euch, meine Herren, schriftlich und schwarz auf weiß kundtun. … Ich kann nicht gut disputieren, will es auch nicht, sondern will es mit Heiliger Schrift zu tun haben, und zwar mit solchen Stellen, die klar von der Taufe handeln.“
Diese Verteidigungsschrift erinnert sehr an Martin Luthers Verteidigungsrede in Worms. Wie der gelehrte Mönch aus Wittenberg forderte Manz seine Gegner auf, die angeführte biblisch-theologische Argumentation zu prüfen. Seine Forderung allerdings richtete er nicht an die Repräsentanten der Altgläubigen, sondern an den reformierten Rat der Stadt.
Der Bitte wurde nicht entsprochen. Statt von Zwingli eine schriftliche Stellungnahme zu verlangen, wurde für den Januar 1525 eine weitere Disputation angesetzt. Nach deren Ende erklärte der Rat Zwingli zum Sieger und beschloss, dass Eltern, die ihre Kinder nicht innerhalb von acht Tagen zur Taufe brachten „die Stadt mit Weib, Kind und Gut verlassen“ mussten. Manz und den Seinen wurde untersagt, Abweichendes zu lehren und Erwachsene zu taufen.
Nun hatte also der Rat entschieden. Widerstand war nun eine Straftat. Aber Manz predigte weiter öffentlich. Er wurde verhaftet und eingesperrt, freigelassen und wieder gefangengenommen. Schließlich wurde er ausgewiesen, in der Fremde verhaftet und ausgeliefert. Einmal gelang ihm ein Ausbruch. Immer wieder saß er im Gefängnis. Seine letzte Verhaftung erfolgte im Herbst 1526. Im Dezember desselben Jahres wurde er schließlich wegen aufrührerischem Wesen zum Tode durch Ertränken in der Limmat verurteilt.

Das Urteil wurde am 5. Januar 1527 vollstreckt. Mit gebundenen Händen und Füßen wurde er in ein Boot gesetzt, mit dem er zu einer Fischerhütte in der Flussmitte übersetzte. Unter den zahlreichen Zeugen der schmachvollen Tötung waren auch seine Mutter und sein Bruder. Vom Steg der Hütte wurde er in das eiskalte Wasser gestoßen, wo er grausam ertrank.
Mit der gnadenlosen Ertränkung von Felix Manz überschritt die Züricher Reformation eine Grenze. Sie hatten einen Menschen zum Märtyrer gemacht, der seinem Gewissen folgte. Mit ihm starb das erste Opfer der Reformation, die sich doch die Freiheit des Gewissens auf die Fahnen geschrieben hatte.

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