Täglich die Kirchen-Bubble verlassen. Fünf Gründe, warum wir auch künftig Pfarrpersonen brauchen, die in der Schule arbeiten.

Horst Heller
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Es war ein heißer Augusttag, zwei Monate vor meinem Examen. Da erfuhr ich, dass der Personaldezernent meiner Landeskirche mich nicht für eine Gemeindepfarrstelle vorgesehen hatte. „Sie gehen ins Leibniz-Gymnasium!“ Ich war auf alles gefasst gewesen, nicht aber auf eine Schulstelle in der Provinz. In diesem Moment dachte ich zurück: Als ich neun Jahre zuvor mit dem Abiturzeugnis in der Hand meine Schule verlassen hatte, war ich fest entschlossen gewesen, niemals den Lehrerberuf zu ergreifen. Die Religionspädagogik war deshalb in meiner Ausbildungszeit nur ein Pflichtfach geblieben. Meine Kompetenz zu unterrichten schätzte ich höchstens mittelmäßig ein.

Aber dieser Nachmittag in einem Spätsommer der 1980er Jahre gab meinem Leben eine neue Richtung. Die Religionspädagogik wurde meine Profession.

Ich habe nie erfahren, weshalb der längst verstorbene Oberkirchenrat – er ruhe in Frieden! – mich für eine hauptamtliche Arbeit in der Schule ausgewählt hatte. Inzwischen sind fast vier Jahrzehnte vergangen, genug Zeit, um darüber nachzudenken, ob Pfarrerinnen und Pfarrer auch heute noch hauptamtlich in der Schule unterrichten sollten. Denn auch in meinem Beruf gibt es einen Fachkräftemangel, und die Arbeit der Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer ist zunehmend herausfordernd geworden. Sollten da nicht alle Kräfte auf das „Kerngeschäft“, die Gemeindearbeit, konzentriert werden? Meine Antwort lautet: Nein! Wir brauchen auch künftig Pfarrerinnen und Pfarrer im Schuldienst. Fünf Gründe:

1. Es ist gut für die Fachschaften in der Schule.
Zweifellos verfügen grundständig ausgebildete Lehrkräfte über ein fundiertes und reflektiertes theologisches Wissen. In der Regel unterrichten sie aber auch ihr zweites Fach gerne. Viele Schulen schätzen die theologische Kompetenz der Pfarrerinnen und Pfarrer, weil sie als Spezialisten gelten. Vielleicht auch, weil sie mit anderen Augen auf die Bildungsarbeit der Schule schauen. Die Zusammenarbeit in der Fachschaft Religion kann das bereichern.

2. Es ist gut für die Schülerinnen und Schüler
Besonders deutlich wird das im berufsbildenden Schulwesen, aber es gilt für alle Schularten. Pfarrerinnen und Pfarrer sind berufsbedingt aufmerksam für seelsorgerliche Fragen. Sie sind (im Rahmen ihrer Möglichkeiten) auch außerhalb schulischer Kernzeiten für ihre Schülerinnen und Schüler da, zunehmend auch auf digitalen Plattformen. Pfarrpersonen werden zudem als Menschen wahrgenommen, die für die Werte des christlichen Glaubens stehen: „Was sagen Sie als Pfarrer dazu?“ Anders als oft unterstellt sind Theologinnen und Theologen in der Schule dialogfähig und dialogbereit. Auch junge Menschen, die sich als Nicht-Glaubende bezeichnen, schätzen ein kirchliches Gegenüber, das sich für ihre Anfragen interessiert.

3. Es ist gut für die Pfarrerinnen und Pfarrer selbst
Pfarrerpersonen in der Schule arbeiten in einer begrenzten Freiheit. Zwar wird zurecht verlangt, dass sie die Regeln der Schule befolgen, aber die Inhalte des Unterrichts kann die Schulleitung nicht vorschreiben. Von ihren Schulpfarrern erwartet die Kirche verständlicherweise, dass sie sich außerhalb des Unterrichtsauftrags für die Kirche engagieren. Doch wie viel oder wie wenig das ist, können sie weitgehend selbst bestimmen. Wenn Pfarrerinnen und Pfarrer eine Karriere anstreben, dann nicht in der Schule. Das macht sie innerlich ein Stück weit frei. Ihrer pädagogischen Arbeit kann das zugute kommen.

4. Es ist gut für die Kirche (1)
Pfarrerinnen und Pfarrer in der Schule verlassen täglich die Kirchen-Bubble. Sie begegnen Konfessionslosen und jungen Menschen ohne kirchliche Sozialisation. Das entspricht definitiv auch dem Auftrag der Kirche.

5. Es ist gut für die Kirche (2)
Pfarrerinnen und Pfarrer, die hauptamtlich in der Sekundarstufe II unterrichten, begegnen jungen Menschen in einem Alter, in dem diese über die Wahl ihres Studienfachs nachdenken. Wenn Pfarrpersonen in der Schule von ihrem Beruf erzählen und kommunizieren, was sie motiviert, kann das Schülerinnen und Schüler anregen. Manch eine hat sich für das Theologiestudium entschieden, weil sie von ihrem Schulpfarrer inspiriert wurde. Ob diese jungen Theologinnen und Theologen am Ende in den staatlichen Schuldienst oder in den kirchlichen Dienst eintreten, ist nicht entscheidend. In beiden Berufen werden sie zu Übersetzerinnen und Übersetzern christlicher Rede von Gott und vom Menschen in einer säkularen Welt.

Eines aber ist gewiss: Wenn sich die Kirche auf das angebliche „Kerngeschäft“, die Arbeit in Kirchengemeinden, beschränkt und die hauptamtlichen Pfarrstellen in der Schule abbaut, wird sie eben diesem Kerngeschäft mittelfristig schaden. Coole Werbung ist gut und gehört dazu. Um Nachwuchs für kirchliche Berufe zu gewinnen, ist es aber unverzichtbar, dass Jugendliche mit Kirchenmenschen zusammenkommen, und das nicht nur punktuell und in werbender Absicht. Wo ist das einfacher zu organisieren als im Religionsunterricht der Schule?

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Ein Gedanke zu “Täglich die Kirchen-Bubble verlassen. Fünf Gründe, warum wir auch künftig Pfarrpersonen brauchen, die in der Schule arbeiten.

  1. Lieber Horst,

    ich kann Dir nur zustimmen – vielen Dank für diese fünf Gründe! Ich sehe es ganz genauso.

    LG Andreas

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