Beppo und der rote Luftballon. Oder: Kann Gott Menschen hilfsbereit machen?

Horst Heller
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Alle Kinder waren in der Schule. Nur Beppo, 8 Jahre alt, stand auf einem Hügel und starrte angestrengt zum Himmel hinauf. Dort oben war ein winziger roter Punkt zu sehen. Seinetwegen hatte Beppo die Schule geschwänzt. Hoffentlich würde der Wind die Botschaft nicht abreißen!

Die Geschichte von Beppo hat Barbara Irmgrund vor über 50 Jahren erzählt (D. Steinwede (Hg), Vorlesebuch Religion, 1971). Sie findet sich inzwischen in mehreren Versionen im Internet. Nadine Klimbingat und Horst Heller haben sie neu erzählt und einen veränderten Schluss angefügt. Nadja Donauer hat Zeichnungen dazu gestaltet.

„Lieber Gott“, stand auf seinem Brief, „wir sind drei Kinder. Schon bald bekommen wir noch einen kleinen Bruder. Der wird mit Pietro und mir in einem Bett schlafen. Wir haben zu wenig Bettzeug, Windeln und Kinderkleidung. Du kannst uns doch helfen! Es darf ruhig etwas Gebrauchtes sein! Ich wohne in Arcole in Italien. Dein Beppo Sala.“

Der rote Punkt am Himmel ist also ein mit Gas gefüllter Luftballon. Ihm ist wie bei einem Ballonwettbewerb ein Brief angehängt. Mit dem Brief wird er weit fliegen und, wenn das Gas aus dem Ballon entwichen ist, an Höhe verlieren und wieder auf der Erde landen. Dort wird ihn hoffentlich jemand finden. Doch der Brief ist nicht an diesen Irgendjemand geschrieben, sondern an Gott. Beppo schickt diesen Brief in den blauen Himmel seiner italienischen Heimat. Wohnt Gott dort?

Wo wohnt Gott?
So hatte Beppo geschrieben. Als der kleine rote Punkt am Himmel verschwunden war, lief er in die Schule. Er war sich sicher: Gott wird helfen.
Die nächsten Tage waren für Beppo nicht leicht zu ertragen. Er wartete und wartete und wartete.

Beppo ist überzeugt: Gott wohnt im Wolkenhimmel. Und er wird seine Bitte erhören. Er fragt sich aber: Wie wird er seiner Familie zukommen lassen, was sie braucht? Wird es vielleicht sein wie einst bei Nikolaus von Myra, der nachts Kugeln aus Gold durch das Fenster in das Schlafzimmer einer verzweifelten Familie warf? Wird ein Engel Bettwäsche vor der Haustür legen? Oder wird die Kommode, in der jetzt nur das Allernötigste für Beppo und seine Geschwister liegt, eines Morgens mit Säuglingskleidung gefüllt sein? Nein. Es kommt ganz anders.

Es war am vierten Tag, nachdem er den Luftballon in den Himmel geschickt hatte. Als Beppo an diesen Tag aus der Schule nach Hause kam, fand er die ganze Familie und den Paketboten in der Küche versammelt. Auf dem Tisch lag ein Paket. Vater Sala schimpfte: „Du willst ein Paketbote sein, Antonio, und begreifst nicht, dass dieses Paket nicht für uns sein kann!“ Der Paketbote rollte die Augen: „Kannst Du nicht lesen? Sala, Familie Sala! Da steht es!“ „Jawohl, so heißen wir. Aber ich kenne niemanden in Rovigo. Nimm das Paket wieder mit!“ Beppo dachte an den Ballon und seinen Brief an den lieben Gott. „So macht das Paket doch auf!“, rief er, „dann werden wir sehen, ob es für uns ist oder nicht!“
Der Vater blickte streng zu Beppo, aber dann sagte er zum Paketboten: „Du hörst es doch, mache das Paket endlich auf!“ Der Paketbote öffnete die Schnüre, schlug den Deckel zurück und legte den Inhalt des Paketes auf den Tisch.
Es wurde still in der Küche. Auf dem Tisch lagen kleine Päckchen mit Stoffwindeln, Bettzeug und winzige Kinderwäsche. Nicht neu, aber heil, sauber und in weiße Tücher verpackt.

Woher kommt diese großzügige Spende? Eine Familie, die über eine gebrauchte Säuglingsausstattung verfügte, hat Beppos ergreifenden Brief gefunden und sich entschlossen, seiner Familie zu helfen. Sie hat ein Paket gepackt und es in Rovigo zur Post gebracht. In Arcole hat es der Paketzusteller an Familie Sala ausgeliefert. Kein Wunder also? Oder doch?

Kann Gott machen, dass Menschen hilfsbereit werden?
Beppo konnte das Glück kaum fassen. Aber eines verstand er nicht: Wie konnte es sein, das Gott in Rovigo, nicht weit von Arcole entfernt, ein Paket für die Familie Sala zur Post gebracht hatte?

Gott wohnt nicht in Rovigo, sondern im Gotteshimmel. Im Wolkenhimmel suchen wir ihn vergebens. Das bedeutet aber nicht, dass ihn Beppos Brief und sein Gebet nicht erreicht haben. Die Säuglingsausstattung und die Bettwäsche kommen zwar aus der Kreisstadt. Eine nette Familie hat sie gespendet. Hat das dennoch etwas mit Gott zu tun? Wohnt Gott vielleicht doch auch in Rovigo?

Einige Nachdenkimpulse:
– Kannte Gott die Not der Familie Sala? Kannte er sie schon, bevor Beppo seinen Brief schrieb?
– Ist es ein Zufall, dass sein Brief von einer Familie gefunden wurde, die Kinderkleidung entbehren konnte? Gibt es eine andere Erklärung?
– Nicht jede Familie, die einer anderen Familie helfen könnte, tut das auch. Kann Gott machen, dass Menschen hilfsbereit werden?

Der doppelte Schluss
Während der Inhalt des Paketes von Hand zu Hand ging, schlich Beppo sich hinaus. So schnell er konnte, rannte er den Hügel hinauf, wo er den Luftballon in den Himmel geschickt hatte. Er wollte dem gütigen Geber danken.

Dieser erste Schluss der Geschichte eignet sich, um das Gelernte zu überprüfen und zu bündeln. Wer ist der gütige Geber? Es ist die unbekannte Familie, die der Familie Sala mit Kinderkleidung ausgeholfen hat. Hat Beppo einen guten Grund, auch Gott zu danken? Was denken unsere Schülerinnen und Schüler darüber?

Am nächsten Tag ging Beppo zum Paketboten. „Das Paket ist aus Rovigo gekommen. Wohnt Gott in Rovigo?“, fragte er ihn.

Dieser zweite Schluss dient der Verschriftlichung des Gelernten. Beppo hat noch nicht gelernt, zwischen Wolkenhimmel und Gotteshimmel zu unterscheiden. Die Schülerinnen und Schüler aber können eine Antwort des Paketboten notieren.

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Ein Gedanke zu “Beppo und der rote Luftballon. Oder: Kann Gott Menschen hilfsbereit machen?

  1. Beim Lernen, wer und wie Gott sein könnte, ist diese überarbeitete Geschichte überaus hilfreich. So kommen Kinder (und ihre Lehrenden) weiter auf dem Weg hin zu einem tragfähigen Gottesbild. Ein großes und freudiges Danke!

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