„Vater und Sohn“. Wie Erich Ohser der Diktatur listig die Stirn bot und den Kampf dennoch tragisch verlor

Horst Heller (CC BY)
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Erstausgaben der Vater-und-Sohn-Bände aus den 1930er-Jahren.

Erich Ohser schied am frühen Morgen des 6. April 1944 aus dem Leben. Wenige Stunden später hätte er vor dem berüchtigten Volksgerichtshof erscheinen müssen, von dessen Vorsitzenden Roland Freisler er zum Tode verurteilt worden wäre. Der 41-jährige war von seinem Nachbarn denunziert worden. Für den Künstler, der unter dem Pseudonym e.o.plauen veröffentlichte, hatte Goebbels persönlich die Todesstrafe gefordert. Er hatte ihm nicht verziehen, dass er in seiner „frühen exponierten publizistischen Tätigkeit“- so wurde es bereits 1934 umschrieben – seine Verachtung für den Nationalsozialismus ausgedrückt hatte. Auch die erzwungene Anpassung in Ohsers letzten Jahren seines künstlerischen Wirkens konnte ihn nicht retten. Das Regime war erbarmungslos. Er wusste, dass es keinen Ausweg mehr gab und erhängte sich in der Nacht vor der Verhandlung in seiner Zelle. Es war letzter verzweifelter Akt des Widerstands.

Von Erich Ohser (e. o. plauen) – e. o. plauen: Vater und Sohn – 50 lustige Streiche und Abenteuer, Berlin: Ullstein Verlag, 1935, Bild-PD-alt
https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=9451431

Uns Nachgeborenen ist Erich Ohser vor allem als Schöpfer der etwa 160 Karikaturen „Vater und Sohn“ bekannt, die zwischen 1934 und 1937 in wöchentlicher Folge in der Berliner Illustrirten Zeitung erschienen. Er hatte sie mit dem Pseudonym e.o.plauen signiert, einer Kombination aus seinen Initialen und dem Namen seiner Heimatstadt Plauen.

Mit diesen scheinbar unpolitischen Zeichnungen war es Ohser gelungen, sein Berufsverbot auszuhebeln. Doch seine Karikaturen waren ebenso wenig unpolitisch wie Johanna Haarers Ratgeber für junge Mütter ideologiefrei war.

Vordergründig bestehen seine beiden Antihelden kleine Abenteuer und vertreiben sich den Tag mit Späßen. In Wahrheit haben seine Zeichnungen etwas Subversives. Der Sohn ist alles andere als folgsam, er ist ein Strolch und wäre damals wohl ein Bengel genannt worden. Der beleibte Vater entspricht so gar nicht dem muskulösen und ernst in die Ferne blickenden Helden, den die national­sozialistische Ideologie propagierte. Er ist ein empfindsamer Mann, der zwar nicht gutheißt was sein Sohn anstellt, der sich aber im Zweifelsfall mit ihm solidarisiert und sich sogar manchmal an seinen Streichen beteiligt. Väterliche Strenge kennt er wohl, aber sie setzt aus, wenn Mitleid, Verständnis oder sogar Forschergeist in ihm geweckt werden.

e.o.plauen, Die vergessenen Rosinen (1935).
Die Nationalsozialisten ließen Ohser lange gewähren und nutzten seine Popularität für ihr „Winterhilfswerk“ sowie für die Olympischen Spiele. Vielleicht nahmen sie das Subversive in seinen unterhaltsamen Zeichnungen nicht wahr. In dieser Bilderfolge misslingt Vater und Sohn ein Kuchen, weil sie die bereitstehenden Rosinen vergessen haben. Der Vater ist ratlos, aber der Sohn hat die rettende Idee. Mit Hilfe eines Gewehrs werden die Rosinen nachträglich in den Kuchen „geschossen.“ Die Waffen für einen solchen Unfug zu nutzen, konnte nicht im Sinne der Machthaber sein.
Von Erich Ohser – Berliner Illustrirte Zeitung, Nr. 12. 21. März 1935, Jg. 44. Digitalisat der Hochschul- und Landesbibliothek Fulda, Bild-PD-alt, https://de.wikipedia.org/w/ index.php?curid=9017080

Bei Ohser verlässt der Vater den erhöhten Sitzplatz des Familienoberhaupts, setzt oder legt sich zu seinem Sohn, ohne dabei dessen Achtung zu verlieren. Mit seiner Friedfertigkeit wird er zu einem Botschafter milder Menschlichkeit, die der Herrschaft des Bösen und der inhumanen Ideologie seiner Zeit listig die Stirn bietet. Wollte das System Anpassung, Opferbereitschaft, Strenge, Unterordnung und unerbittliche Härte, lebten e.o.plauens Figuren Versöhnung, generationenübergreifende Solidarität und Empathie, Barmherzigkeit, spielerischen Rollentausch und Empfindsamkeit vor.

Der Schöpfer von „Vater und Sohn“ hat die Zeit der Diktatur nicht überlebt. Christian, der Sohn des Künstlers, war zwölf Jahre, als sein Vater den Kampf gegen die Gewaltherrschaft verloren gab. Er durfte nicht viel Lebenszeit mit ihm verbringen. Dieses Schicksal teilt er mit vielen Kindern seiner Generation, die ihren Vater früh verloren oder nie kennengelernt haben. Uns und allen Nachgeborenen hat Erich Ohser dafür ein großartiges, zeitloses Vermächtnis hinterlassen.

Heutige Kinder, die mit einem verständnisvollen Vater aufwachsen dürfen, wie Erich Ohser ihn gezeichnet hat, werden keine Erfüllungsgehilfen eines unmenschlichen, auf Unterdrückung, Demütigung und Angst gegründeten Systems sein können.

Wer nicht das Glück hatte, unter der Fürsorge von Eltern aufzuwachsen, für die Prinzipientreue nicht das höchste Gut war, für die oder den hat er vielleicht mit seinen Bildergeschichten die Sehnsucht ins Herz gepflanzt, die eigenen Kinder auf dem Weg zu ihrer individuellen Persönlichkeit zu begleiten.

Literatur
e.o.plauen/Erich Ohser: Vater und Sohn. Die beliebesten Bildergeschichten, Fischer 3/2019
Elke Schulze: Erich Ohser alias e. o. plauen. Ein deutsches Künstlerschicksal, Südverlag 3/2018

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