Rauch, Ruinen und Rivera – Frida Kahlo, ihre Kunst und ihr Ja zum heutigen Tag (3/4)

Frida Kahlo, Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexiko und den USA (1932)

Horst Heller (CC BY)

1930, Frida war gerade ein Jahr verheiratet, zog das Ehepaar in die nach Kalifornien. Diego Rivera, ihr Ehemann, wurde dort als großer mexikanischer Maler verehrt und hatte ehrenvolle und gut bezahlte Aufträge erhalten. Während er im Getriebe der Großstadt glücklich war, hasste Frida die Partys und das gesellschaftliche Leben der Reichen und Schönen. Als Malerin war sie noch unbekannt und musste die reizende, aber schüchterne Frau an seiner Seite spielen. Sie litt unter Heimweh. So kehrte das Paar 1931 nach Mexiko zurück. Doch Diego langweilte sich dort, und da er schon bald neue Angebote erhielt, reisten sie im Jahr darauf erneut in die USA.

Doch mit ihrer Ehe stand es nicht zum Besten. Ihr Mann betrog sie vielfach mit jungen amerikanischen Frauen. Eifersucht empfand er als bourgeoise Kleinlichkeit, die im Kommunismus überwunden sein müsse.

Frida war unglücklich. Andererseits deuteten sich in Amerika auch für sie neue Möglichkeiten an. Sie malte viel und fand Menschen, die sie stärkten und unterstützten. Man begann, sich für ihre Kunst zu interessieren.

Ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1932 zeigt sie auf der Grenze zwischen ihrer mexikanischen Heimat und dem neuen Wohnort in den USA. Die Künstlerin steht auf einem Sockel, auf dem der Name eingemeißelt ist, mit dem sie in Amerika angesprochen wird: Carmen Rivera. Auf der linken Bildhälfte sind die Überreste der indigenen Kultur Mexikos zu sehen, der sie sich verbunden fühlt. Sie aber wirken verfallen, verlassen und leblos. Nur im Vordergrund blüht die vielfarbige Pflanzenwelt, die in mexikanischer Erde wurzelt.

Auf der rechten Bildhälfte sind Industrieanlagen, Hochhäuser, Rauch und die technischen Errungenschaften der Industrienation USA angeordnet. Die Stars and Stripes sind von Rauchschwaden eingehüllt. Hier herrscht Aktivität, in den Hochhäusern könnten Menschen wohnen. Doch auch diese Seite des Bildes ist menschenleer, ohne Natur oder Leben. An der Stelle, an der links die Kreatur wuchert, stehen rechts ein Elektromotor, ein überdimensionaler Leuchtkörper und ein elektrisch verstärkter Lautsprecher. Sie beziehen ihre Kraft aus der US-amerikanischen Erde und schlagen Wurzeln und sind dort verwurzelt. Nur eine geheimnisvolle Linie führt hinüber auf die andere Bildhälfte.

Auf der Grenze zwischen der alten ländlichen mexikanischen und der neuen urbanen Kultur der Vereinigten Staaten steht Frida, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen und ein mexikanisches Fähnchen, das sie unter ihrem Ballkleid halb verbirgt. Ihr Gesicht ist der mexikanischen Seite zugewandt, doch es zeigt keine Freude. Die neue Welt, in die sie ihrem Ehemann zuliebe gereist ist, liebt sie nicht. Immer wieder sind in Frida Kahlos Bilder beide Himmelskörper am Himmel zu sehen, Symbole des männlichen und des weiblichen Prinzips. So auch hier. Wo sie einander berühren, erzeugen sie Blitze, ein Hinweis auf die täglichen Konflikte des Ehepaars.

An einer Stelle sind die beiden Bildhälften miteinander verbunden. Eine lange Wurzel führt von der mexikanischen Seite hinüber zu dem Stromgenerator zu Fridas Füßen. Der Sockel, auf dem sie steht, wird mit dem erzeugten Strom beliefert. Sie bezieht ihre Kraft aus einem US-Generator, der aber in mexikanischer Erde wurzelt. Welcher Teil des Neuen gehört schon zu ihr? Welches Erbe ihrer Herkunft hat sie bereits abgelegt?

Im Jahr 1932 ist diese Frage noch offen. Sie wird noch mehrfach in die USA reisen. Sie wird selbst zahlreiche Affären haben. Von ihren Mann wird sie sich scheiden lassen und ihn ein Jahr später wieder heiraten. Zweimal wird sie schwanger werden, aber sie wird kinderlos bleiben. Auf diesem Bild, gemalt im Alter vom 25 Jahren, sucht sie noch ihren Weg. Sie hat ihn noch nicht gefunden. Es zählt der heutige Tag.

Literatur und Links:
Vanna Vinci: Frida. Ein Leben zwischen Kunst und Liebe, Prestel-Verlag 2017
María Hesse: Frida Kahlo, eine Biographie, Insel-Verlag 2018
Magdalena Holzhey: Frida Kahlo, die Malerin im Blauen Haus. Prestel-Verlag 2003
Jane Kent, Nick Ackland, Isabel Munoz: Frida Kahlo, National Geographic, 2020
Monica Brown, John Parra: Frida Kahlo und ihre Tiere, Nord-Süd-Verlag, 2017
Ingrid Pfeifer (Hg), Fanstasische Frauen, Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Hirmer-Verlag, 2020
Giorgia Simmonds, Why Frida Kahlos Unibrow is important: https://www.net-a-porter.com/de-de/porter/article-633ccbb7977517f1/lifestyle/culture/warum-frida-kahlos-augenbrauen-so-wichtig-sind
Tatiana Rodríguez, Andrea Sosa und Denis Düttmann, Feministische Ikone ohne Damenbart, https://www.neues-deutschland.de/artikel/1086219.frida-kahlo-feministische-ikone-ohne-damenbart.html

Frida Kahlo auf www.horstheller.de
12.07.2020: Der verletzte Hirsch und „Viva la Vida“ – Frida Kahlo, ihre Kunst und ihr Ja zum Leben (1/4)
14.07.2020: Damenbart, Augenbrauen und FeminismusFrida Kahlo, ihre Kunst und ihr Ja zu sich selbst (2/4)
16.07.2020: Rauch, Ruinen und RiveraFrida Kahlo, ihre Kunst und ihr Ja zum heutigen Tag (3/4)
17.07.2020: Biografisches LernenFrida Kahlo, und das Ja zur Unvollkommenheit (4/4)
Alle vier Texte als PDF: Frida Kahlo und das Lernen am gelebten Leben. Biografische und pädagogische Notizen