Abraham und Sara. Dreiundzwanzig Episoden. Welche sind für den Unterricht wichtig – und warum? Welche nicht?

Horst Heller
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Abraham und Sara sind Nomaden und leben am Rande der Wüste. Ihre Zeit, Umwelt, Kultur und Lebensbedingungen sind unendlich weit von der Lebenswelt unserer Schülerinnen und Schüler entfernt. Kinder tauchen dennoch gerne in diese Wüstengeschichten ein. Sie bieten große Lernchancen für den Religionsunterricht.

Traditionell beginnen Unterrichtsreihen zu Abraham mit seinem Aufbruch aus Haran, der Verheißung des Segens, erzählen von der Trennung Abrahams von seinem Neffen Lot und enden mit der Geburt des ersehnten Stammhalters Isaak. Andere wichtige Episoden lassen sie aus. Es gibt aber gute Gründe, zur Vorbereitung des Unterrichts zunächst den gesamten Erzählzyklus zu Abraham und Sara (1 Mose 12,1-25,10) zu lesen. Er besteht aus (je nach Zählweise) bis zu 23 Einzelerzählungen, deren didaktisches Potential sehr unterschiedlich ist. Es lohnt sich, sie alle zu kennen und dann zu entscheiden: Welche Episoden des gesamten Erzählkranzes sollen Teil der Unterrichtsreihe werden? Hier mein Vorschlag:

Episode 1: Die Protagonisten und ihre Lebenswelt: Abraham, Sara und die Wüste

Was wird erzählt?
Abraham ist ein Nomade. Er lebt am Rande der Wüste mit seiner Frau Sara, mit Knechten und Mägden und vielen Tieren. Einer der Knechte – sein Name ist Elieser – ist ihm ans Herz gewachsen. Mit dabei ist auch Lot, der Sohn seines verstorbenen Bruders. Er wird wohl Abrahams Herden eines Tages erben. Denn Abraham und Sara haben keine Kinder.
Erzähltext

Warum diese Episode wichtig ist
Um künftige Episoden zu verstehen, ist es nötig, einige Details des Lebens in der Wüste zu kennen. Bevor die eigentliche Handlung beginnt, werden deshalb die Protagonisten und ihre Lebensumstände vorgestellt. Das sind neben Abraham auch Sara, Lot und Elieser. Besonders Sara ist für den gesamten Erzählkranz von zentraler Bedeutung.


Episode 2 Aufbruch nach Kanaan. Die Verheißung des Segens und der Nachkommenschaft (1 Mose 12,1-8):

Was wird erzählt?
Abraham hört die Stimme Gottes: Sie fordert ihn auf, seine Heimat zu verlassen und in eine neues Land zu ziehen. Abraham, Sara, Lot brechen auf und ziehen zusammen mit ihren Knechten, Mägden und den Tieren in das unbekannte Land Kanaan. Dort empfängt Abraham die Verheißung des Segens Gottes. Zum ersten Mal ist in dieser Episode auch von Nachkommen die Rede. Obwohl Abraham und Sara bisher kinderlos sind, sollen sie Erzeltern eines großes Volks werden.
Erzähltext

Warum diese Episode wichtig ist
Ein zentrales Motiv der Abrahams-Erzählungen wird gleich zu Beginn genannt: „Ich will dich segnen, und du sollst ein Segen sein“ (1 Mose 12,2). Segen bedeutet Glück und Beistand, Gottes Nähe und Begleitung auf dem Lebensweg. Für Abraham konkretisiert sich das in doppelter Weise. Es wird ihm eine neue Heimat versprochen. Dort wird es ihm gut gehen. Das Land Kanaan ist aber bereits besiedelt. Hier leben die Kanaanäer.


Episode 3: Abraham und Lot trennen sich. (1 Mose 13,1-12a)

Worauf wir achten sollten
Wenn Gott zu Menschen spricht, ist das für Außenstehende nicht zu hören. Wir wählen deshalb nicht die Formulierung „Gott sprach zu Abraham“, sondern „Abraham hörte eine Stimme“ oder „Abraham sagte zu Sara: Ich habe die Stimme Gottes gehört.“

Was wird erzählt
Es kommt zu Kämpfen zwischen den Hirten Abrahams und denen seines Neffen Lot. Denn in Kanaan sind Wasser- und Weidestellen für die Tiere knapp. Abraham will Frieden. Er schlägt Lot vor, das Land zu teilen. Lot nimmt den Vorschlag seines Onkels an und wählt das fruchtbarere Land in der Jordan-Ebene. Abraham zieht mit seinen Tieren in die kargen Berge.
Erzähltext

Warum diese Episode wichtig ist
Als Familienoberhaupt hätte er selbst entscheiden können, wer wohin geht. Dennoch überlässt er Lot die Wahl zwischen gutem und schlechtem Weideland. Es ist wichtig zu erarbeiten, warum er das tut.
Traditionell dient diese Episode im Unterricht als Nachweis, dass Abraham ein friedlicher Mensch gewesen sei, der lieber auf Wohlstand verzichtet als im Streit mit seinem Neffen zu leben. Doch diese Deutung greift zu kurz. Abraham überlässt Lot nicht die Wahl, weil er keinen Streit mag, sondern weil er sich gesegnet weiß. Für ihn ist gesorgt.


Episode 4: Die Verheißung der Nachkommenschaft (1 Mose 13,14-16; 15,1-6)

Was wird erzählt?
Abraham hört erneut die Stimme Gottes. Sie verspricht ihm Nachkommen, die so zahlreich sind wie die Sandkörner in der Wüste und die Sterne an nächtlichen Wüstenhimmel. Abraham will daran glauben, obwohl er und Sara in einem Alter sind, in dem sie eigentlich nicht mehr Eltern werden können.
Erzähltext

Warum diese Episode wichtig ist
Wieder hört Abraham die Stimme Gottes. Sie bekräftigt die Verheißung: Er und Sara werden Nachkommen haben. Sie werden Erzeltern eines großen Volkes sein.

Worauf wir achten sollten
Zur Nachkommenschaft zählten nicht nur Kinder und Enkel. Diese Verheißung weißt über den Erzählkranz Abraham hinaus. Als Abraham stirbt, ist sie noch nicht erfüllt. Er hat dann zwar (mehrere) Söhne (und Töchter), aber sie sind nicht so zahlreich wie die Sterne am Nachthimmel. In der Jakob- und-Esau-Erzählung wird der Segen der nächsten Generation zugesagt. Erst bei Mose wird deutlich, dass aus den Nachkommen Abrahams ein Volk geworden ist.


Episode 5: Die Geburt des Ismael (1 Mose 16)

Was wird erzählt?
Weil Sara, Abrahams Frau, nicht schwanger wird, fordert sie Abraham auf, mit Hager, ihrer ägyptischen Dienerin, ein Kind zu zeugen.“ Abraham ist einverstanden. Hagar bringt einen Sohn zur Welt. Sein Name ist Ismael.
Erzähltext

Warum wir diese Episode nicht auslassen
In traditionellen Unterrichtsreihen findet sich diese Episode nicht. Doch Abrahams erstgeborener Sohn Ismael (arab.: Ismail) wird von Muslimen als Prophet und Erbauer der Kaaba verehrt. Isaak, sein jüngerer Halbbruder (der jetzt noch nicht geboren ist), wird über seinen Sohn Jakob zum Erzvater des jüdischen Volkes werden. Insofern verbirgt sich in der Geschichte der beiden Halbbrüder ein Aspekt interreligiösen Lernens.


Episode 6: Glaube und Zweifel. Isaak wird geboren. (1 Mose 18,1-15; 21,1-8)

Was wird erzählt?
Unbekannte Besucher kommen vorbei und genießen die Gastfreundschaft von Abraham und seiner Frau. Sie wiederholen die Verheißung der Nachkommenschaft. Sara lacht. Doch ein Jahr später bringt sie wirklich ein Kind zur Welt. Auch er ist ein Junge. Sein Name: Isaak.
Erzähltext

Warum diese Episode wichtig ist
Ein Geheimnis ist in dieser Geschichte verborgen. Wer sind diese Wanderer? Der biblische Text deutet an, dass es nicht gewöhnliche Reisende sind. Sind es Engel oder begegnet dem Abraham dem Göttlichen selbst? Die mysteriöse Begegnung darf auch im Unterricht ihr Geheimnis bewahren.
Überraschend ist, dass unmittelbar nach der Geburt des Ismael die Verheißung wiederholt wird. Hat Hagar nicht gerade einen Sohn des Abraham geboren? Es ist deshalb wichtig, an dieser Stelle herauszuarbeiten, dass Gottes Versprechen auch nach der Geburt des Ismael noch nicht erfüllt ist. Die Verheißung der Nachkommenschaft gilt beiden Erzeltern, Abraham und Sara.

Was wir beachten sollten
Dass Sara lachen muss, als sie hört, dass sie trotz ihrem Alter noch schwanger werden wird, ist verständlich. Doch wird ihr das in manchen Auslegungen als zweifelnder Unglaube angekreidet. So wird sie zur dunklen Folie, auf deren Untergrund der Glaube des Abraham umso heller leuchten soll. Doch die Lektüre der gesamten biblischen Erzählung rückt das gerade. Auch Abraham hatte im vorangegangenen Kapitel angesichts der wiederholten Ankündigungen eines Sohnes gelacht (1 Mose 17,17). Glaube und Zweifel sind beiden also nicht fremd. Der Zweifel gehört zum Glauben wie der Schatten zum Licht.


Episode 7: Die Trennung. Hagar und Ismael werden weggeschickt. (1 Mose 21,9-21)

Was wird erzählt?
Als Isaak ein Jahr alt ist, schickt Abraham Hagar und Ismael weg. Sara, nun selbst Mutter eines Sohnes, hat ihn darum gebeten. Hagar zieht weg und muss nun mit ihrem Sohn allein in der Wüste leben. Doch Ismael und Hagar sind von Gott nicht verlassen. Auch sie sind gesegnet. Ismael wachst heran und heiratet.
Erzähltext

Warum wir diese Episode nicht auslassen
Diese Geschichte hat etwas Ungerechtes. Warum muss Hagar, die treue Dienerin und Mutter des Sohnes des Abraham, den sicheren Bund der Familie verlassen? Doch diese Episode ist wichtig und darf nicht ausgelassen werden. Erst in der folgenden Episode kommt der Erzählkranz an sein Ziel. Dann kehrt Ismael noch einmal zurück.


Episode 8: Ismael und Isaak am Grab ihres Vaters (1 Mose 23,1-20; 25,8-9)

Was wird erzählt?
Sara stirbt. Abraham kauft ein Stück Land, um sie zu bestatten. Als Nomade hat er bislang keinen Grundbesitz. Es ist die Höhle Machpela im heutigen Hebron. Dann stirbt auch er selbst. Ismael kommt, um von seinem Vater Abraham Abschied zu nehmen. Er und Isaak betten ihren toten Vater neben Sara, seine Frau.
Erzähltext

Warum diese Episode wichtig ist
Erst mit dieser Geschichte endet der Erzählkranz Abraham und Sara. Ismael, der als Kind von seinem Vater verstoßen worden war, kommt zur Bestattung seines Vaters und sieht an dessen Grab auch seinen Halbbruder wieder. Isaak, der Stammvater der Jüdinnen und Juden – und damit auch der Christinnen und Christen – und Ismael, der Stammvater der arabischen Muslime, denken an ihren Vater Abraham und halten Frieden. Eine Mahnung für alle Religionen, die sich auf Abraham / Ibrahim berufen.


Zwei weitere Episoden: Was wird bedenken sollten

Auch wenn die Bücher der Bibel als Ganzes und als ein Stück Literatur gelesen und verstanden werden wollen, ist eine didaktische Reduktion für den Unterricht im Blick auf Altersstufe der Lernenden und die Intention der Unterrichtsreihe notwendig und erlaubt und nötig. Aus sehr unterschiedlichen Gründen werden hier – neben mehreren unbekannten – zwei bekannte Episoden für den Religionsunterricht mit Kindern ausgelassen.

Die „Bindung“ Isaaks (1 Mose 22)

Was wird erzählt?
Abraham zieht mit Isaak an den Berg, um dort einen Altar zu bauen und Gott ein Opfer zu bringen. Einen Moment meint er, dass Gott von ihm das Menschenopfer seine einzigen Sohnes Isaak verlangt. Doch dem ist nicht so. Er und Isaak opfern einen Widder.

Was an dieser Geschichte wichtig ist und warum sie dennoch kein Teil des Unterrichts in der Grundschule sein soll
In der fälschlich oft als Opferung Isaaks bezeichneten Episode muss Isaak, ein Kind, seine eigene Ermordung fürchten. Dass ein Mensch bereit ist, aufgrund eines göttlichen Befehls seinen Sohn zu töten, macht diese Erzählung zu einer didaktisch hoch problematischen Bibelgeschichte. In der Grundschule und den ersten Jahren der Sekundarstufe I hat sie nichts verloren, auch wenn sie im muslimischen Glauben und im muslimischen Festjahr einen hohen Stellenwert genießt.
Erst in einem religionsgeschichtlichen Kontext wird sie bedeutsam, wenn sie vom Ende her gelesen wird. Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs will keine Menschenopfer. Das Volk Israel erzählt sich diese Geschichte, um sich zu vergewissern, dass die Kinderopfer, die Anhänger anderer Religionen noch praktizieren, kein Teil ihrer Religion sind. Mein Vorschlag: Diese Episode kann in interreligiösen Unterrichtsreihen der Sekundarstufe I oder II gelesen und gedeutet werden.

Elieser geleitet Rebekka nach Kanaan. Eine Frau für Isaak (1 Mose 24)

Was wird erzählt?
Abraham bittet Elieser, in der „alten Heimat“ für seinen inzwischen erwachsenen Sohn Isaak eine Frau auszusuchen. Dieser reist nach Haran. Zusammen mit Rebekka kommt er zurück. Isaak und Rebekka heiraten und werden Eltern der Zwillinge Jakob und Esau.

Warum diese wichtige Geschichte dennoch kein Teil des Erzählkranzes Abraham ist.
Sie eröffnet den Erzählkranz Jakob und Esau und ist dort eine Lernchance, sich an die Episoden der Geschichte von Abraham und Sara zu erinnern.


Weitere sieben Episoden des Erzählkranzes, wertvoll zu lesen

Obwohl sie in der Bibel erzählt werden, sind sie recht unbekannt, denn sie werden in fast allen Unterrichtsvorschlägen ausgelassen.

  • Zweimal wird erzählt, dass sich Abraham als Saras Bruder ausgibt, da er andernfalls um sein Leben fürchten muss.
  • Als Zeichen des Bundes zwischen Gott und Abraham sowie seinen Nachkommen werden die männlichen Mitglieder der Familie beschnitten.
  • Abraham befreit seinen Neffen Lot aus der Kriegsgefangenschaft
  • Er begegnet dem König Melchisedek, der – einmalig im Alten Testament – seinem Gott nur vegetarische Opfergaben bringt.
  • Es wird weiter erzählt, dass die Stadt Sodom zerstört wird, Lot und seine Töchter aber gerettet werden.
  • Nach Saras Tod heiratet Abraham noch einmal. Aus der Ehe mit Ketura entstammen weitere Kinder, die abgefunden werden, bevor der Patriarch stirbt.

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01.11.2020: Die Suche nach Gott – oder: Wer von uns beiden ist weise?
03.01.2021: Josef und seine Brüder. Warum uns die Geschichte von Josef und seinen Brüdern bis heute anrührt und was wir von ihr lernen können.
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12.09.2021: „Das werdet ihr büßen und ich weiß auch schon wann!“ Als Jona ankündigen musste, was möglichst nicht geschehen sollte
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08.01.2023: Das gibt’s doch nicht!“ Die Geschichte von Bartimäus als religionspädagogische Herausforderung
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