„Bachs gibt es hier viele …“ Der lange Weg zu Johann Sebastian Bachs Ehrengrab in der Thomaskirche

Als Johann Sebastian Bach am Abend des 28. Juli 1750 verstarb, wurde er auf dem damals einzigen Friedhof der Stadt, dem Gottesacker an der Johanniskirche, bestattet. Den Gepflogenheiten der Zeit folgend, wurde seine Grabstätte nicht gekennzeichnet. Schon bald war vergessen, wo genau der Thomaskantor begraben lag. Fünfzig Jahre nach seinem Tod trauerte Johann Friedrich Rochlitz, ein Redakteur der Leipziger Allgemeinen Musikalischen Zeitung, es sei unmöglich, in Leipzig „Bachs Ruhestätte oder irgend Etwas, das sein Andenken erhalten sollte“, zu finden. (Quelle).

In der Zeit der Romantik entstand der Wunsch, einen Ort der Erinnerung an den Leipziger Thomaskantor zu haben und sein Grab zu finden. Robert Schumann selbst suchte im Jahr 1836 stundenlang vergeblich auf dem Friedhof nach Inschriften, Grabsteinen oder anderen Erinnerungen. Als er den Friedhofsgärtner nach Johann Sebastian Bach befragte, antwortete der schulterzuckend: „Bachs gibt es hier viele.“

Das Grab des großen Leipzigers wäre für immer unbekannt geblieben, hätte nicht Friedrich Georg Tranzschel, ein Pfarrer der Nikolaikirche, gegen Ende des 19. Jahrhundert akribisch nach ihm suchen lassen. Die Stadt hatte Pläne für einen Neubau der Kirche vorgelegt und bei dieser Gelegenheit sollte der große Sohn der Stadt ein Ehrengrab erhalten. Auf der Suche nach seinen sterblichen Überresten kam der entscheidende Hinweis aus seiner Gemeinde. Jemand wusste von der Überlieferung zu erzählen, dass „Bach sechs Schritte geradeaus von der Thüre an der Südseite der Kirche beerdigt worden“ sei. (Quelle)

Tranzschel ließ den Boden an der fraglichen Stelle aufgraben und fand am 22. Oktober 1884 zwei Särge, die der Leipziger Anatom Wilhelm His Bach und seiner Frau Anna Magdalena zuordnete. Auch das Grab Christian Fürchtegott Gellerts wurde auf diese Weise gefunden.

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde die Kirche bis auf dem Turm abgerissen und als neobarocker Bau neu errichtet. Die sterblichen Überreste des Komponisten und des Dichters wurden in einer Gruft vor den Chorstufen der neuen Johanniskirche in zwei Marmorsarkophagen bestattet.

Nach dem Bombenangriff auf Leipzig am 4. Dezember brannte die Kirche vollständig aus. Glücklicherweise aber bleiben die Särge Bachs und Gellerts unbeschädigt. Die Ruine wurde 1949 abgerissen. Die Gebeine Bachs wurden am 28. Juli 1949 in die Thomaskirche, die Gellerts in die Paulinerkirche überführt. Dessen Totenruhe sollte dort einmal gestört werden, die sterblichen Überreste Bachs aber hatten in der Thomaskirche ihren Ort gefunden. Hier hatte Bach gelebt und gearbeitet.

Der alte Turm der Johanniskirche an der Dresdner Straße erinnerte von nun an an die Kirche, die dort während Jahrhunderten gestanden hatte. Er wurde im Jahr 1956 saniert. Doch die SED störte sich an dem Relikt eines Gotteshauses an dieser Stelle und betrieb seinen Abriss. Der Denkmalschutz und viele Leipziger setzten sich für seine Erhaltung ein. Doch die Partei schlug alle Bedenken in den Wind und beseitigte den letzten Rest der Kirche durch eine Sprengung am 9. Mai 1963. So verschwand der alleinstehende markante Kirchturm, der einen Neubau und zwei Weltkriege überstanden hatte, aus dem Leipziger Stadtbild.

Der Turm der Johanniskirche hatte das Bombardement überstanden und erinnerte nun als einsames Mahnmal des Krieges neben dem einstigen „Gottesacker“ der Stadt an die Schrecken des Krieges.

Bachs Sarkophag liegt nun seit seinem 200. Todestag, dem 28.07.1950, im Chorraum „seiner“ Thomaskirche. Gellerts Gebeine sind auf dem Südfriedhof bestattet, denn auch seine Ruhestätte, die Paulinerkirche, nur wenige 100 Meter von der Johanniskirche entfernt, wurde fünf Jahre später aus ideologischen Gründen ebenfalls gesprengt. Anna Magdalena hingegen ruht weiterhin anonym auf dem ehemaligen Friedhof neben der ehemaligen Johanniskirche. Als das Grab des Ehepaars Bach identifiziert worden war, wurde ihr kein Ehrengrab an der Seite ihres Mannes zuerkannt. Zu ihrem 300. Geburtstag wurde neben der Thomaskirche eine Gedenktafel angebracht, die an die frühere Hofsängerin und Mutter der Bachsöhne und -töchter erinnert.

Links
https://www.leipzig-lese.de/index.php?article_id=696
https://jsbach.de/bachorte/johannisfriedhof

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