Horst Heller
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Es war am Nachmittag des 1. Dezember 1955 in Montgomery, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Alabama. Rosa Parks, Afroamerikanerin, 42 Jahre alt, hatte ihre Schicht als Näherin beendet und wollte mit dem Bus nach Hause fahren. Sie setzte sich auf einen Platz, der sowohl für Weiße als auch für People of Color zugelassen war. Als sich der Bus im Laufe der Fahrt füllte, forderte der Busfahrer die Mitreisenden in den mittleren Reihen auf, Plätze für neu zugestiegene weiße Fahrgäste freizumachen. Einige folgten seiner Anweisung, Rosa Parks weigerte sich. Es kam zum Streit. Die Polizei wurde alarmiert, sie wurde verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. In einem Gerichtsverfahren wurde sie wenige Tage später zu einer Geldstrafe von 10 Dollar verurteilt, für eine Arbeiterin in den 1950er Jahren eine empfindliche Buße für ein Vergehen, das keines war.
Die Geschichte ist oft erzählt worden. Mit Schülerinnen und Schülern thematisiere ich zunächst die scheinbare Absurdität des Geschehens. Dass Menschen unterschiedlicher Hautfarbe im Stadtbus getrennt sitzen mussten, finden sie abwegig. Dass zudem von Afroamerikanern verlangt wurde, ihren Platz in der „Mixed Zone“ zu räumen, wenn weiße Menschen zustiegen, erscheint ihnen völlig grotesk. „Hat es wirklich so ein Gesetz gegeben?“, fragen sie ungläubig. Ich erzählte dann, dass in meiner Kindheit Seniorinnen und Senioren in der Straßenbahn von Kindern und Jugendlichen verlangten, für sie den Sitzplatz freizumachen. Sie verlangten Respekt vor den Alter. Die Geschichte der Rosa Parks hingegen ist ein Beispiel für Rassismus.
Rosa Parks engagierte sich nicht nur an diesem einen Tag für die Bürgerrechte. Als sie im Alter von 92 hochbetagt in Detroit starb, war sie für ihr lebenslanges bürgerschaftliches Engagement mehrfach ausgezeichnet worden. Viele Menschen bewundern bis heute ihren lebenslangen Kampf für Gleichberechtigung. Doch ein neues Vorbildlernen braucht keine Heiligen, malt keine Ikonen, sondern beschäftigt sich mit einer konkreten guten Tat. Es geht nicht darum, Menschen zu ehren, die dies zweifellos verdient haben, sondern in einer vergleichbaren Situation den Mut aufzubringen, wie sie für das Gute einzustehen und Widerstände auszuhalten.
Warum konnte Rosa Parks den Streit und das Gerichtsverfahren durchstehen? Später schrieb sie einmal, sie sei es einfach satt gewesen, immer nachgeben zu müssen. Handelte sie also spontan? Oder war ihre Weigerung eine kalkulierte Provokation? War ihr Sitzenbleiben ein Protest oder war sie nur zu müde zum Aufstehen? Die Antworten auf diese Fragen interessieren uns, doch für das Vorbildlernen sind sie nicht entscheidend. Denn die Tat interpretiert sich selbst. Sie ist inspiriert vom Grundwert der Humanität, ist gewaltlos und für jedermann verständlich.
Dass Rosa Parks Mut am Ende belohnt wurde, darf die freuen, die wie sie unter Diskriminierung leiden oder die sich friedlich für eine gerechte Welt einsetzen. Weil ihr Nein berühmt geworden ist, zeigt es, dass Kleines durchaus Großes bewirken kann. Ihre Verurteilung war Anstoß für den Busstreik, der letztlich das Ende der sog. Rassentrennung in Montgomery erzwang. Doch die weiße Mehrheit war nicht bereit, kampflos auf ihre Privilegien zu verzichten. Der Kampf hatte an diesem Nachmittag erst begonnen. Er ist noch nicht beendet. Rassismus ist bis heute ein Problem – nicht nur in Amerika. Es braucht also noch immer Menschen mit Courage wie Rosa Parks.
Links
https://www.welt.de/geschichte/article235389492/Rosa-Parks-Ein-simples-Nein-veraenderte-die-Welt.html
https://www.usa-info.net/usa-wiki/wer-war-rosa-parks/
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