Religiös-inklusive Momente. Wenn sich Schulen ein vorweihnachtliches Ritual der Besinnung wünschen, das niemanden ausschließt

Horst Heller

Ein Schulgottesdienst in der letzten Schulwoche vor Weihnachten. Alle freuen sich darauf. Nein, nicht alle. Denn nicht alle werden teilnehmen. Einige wollen nicht, einige dürfen nicht. Schade, denn so gerne hätte die Schule diese vorweihnachtliche Feier als gemeinsames Ritual aller in der Kirche begangen.

Doch die Säkularisierung hat in den letzten Jahren noch einmal Fahrt aufgenommen und ist nun überall angekommen, längst auch in unseren ländlichen Räumen. Ein vorweihnachtlicher Gottesdienst in der Schule kann ein wertvolles spirituelles Erlebnis sein. Nur gilt es angesichts der wachsenden Zahl konfessionsloser und nichtchristlicher Schülerinnen und Schülern (sowie ebensolchen Lehrpersonen und Eltern) festzuhalten, dass er möglicherweise nicht mehr die gemeinschaftsbildende Funktion früherer Jahre hat. Ein Ritual der ganzen Schule, an dem aber eine Minderheit aus Gründen der Religionsfreiheit nicht teilnimmt, muss überdacht werden. Was tun?

Option 1: Zwang
Das ist ausgeschlossen. Die Teilnahme an einem Gottesdienst ist (auch in einer kirchlichen Schule) freiwillig.

Option 2: Interreligiöse Feiern
Sie bringen die religiöse Vielstimmigkeit zum Klingen und erzeugen vertiefen die Verbundenheit von Menschen unterschiedlicher Bekenntnisse. Aber Religionslose wollen auch an diesen Feiern nicht teilnehmen. Interreligiöse Begegnungen lösen das Problem nicht.

Option 3: Gottesdienst light
Ist es möglich, einen Gottesdienst so zu gestalten, dass auch Menschen ohne religiöse Orientierung gerne an ihm teilnehmen? Er müsste auf Gebete und einen Segen verzichten. Die Ansprache müsste sich auf Inhalte beschränken, die von allen geteilt werden. Aber ist es dann noch eine Predigt? Ist ein Weihnachtsgottesdienst, der nicht von Jesus Christus spricht, noch ein Gottesdienst? Eher nicht.

Option 4: Ohne Feier in die Ferien
Wie schade ist denn das? Menschen aller Generationen wünschen sich in der Weihnachtszeit und vor dem Jahreswechsel Angebote, das Jahr gemeinsam zu bedenken, und innezuhalten. Sie wünschen einander „eine besinnliche Weihnachtszeit“ und wissen doch, dass sie dafür Inseln der Stille brauchen. Ein Verzicht auf ein Ritual ist keine Option.

Die Idee: Ein religiös-inklusives Ritual
Es ist eine Überlegung wert, ob der vorweihnachtliche Wunsch nach Frieden, Gemeinschaft und Stille nicht in einer Liturgie aufgenommen werden kann, die Christinnen und Nichtchristen verbindet und nicht trennt. Was ist gemeint? Einige Beispiele:
„Ein Licht in der Mitte eines großen Sitzkreises erinnert mich an die Geburt Jesu und das Licht, das die Hirten sahen. Woran erinnert es euch?“
„Die Weihnachtsgeschichte, die wir hören, mögen Christinnen und Christen. Welche Geschichten erzählen sich eure Familien im Dezember?“
„Als ich ein Kind war, sangen wir gerne am Heiligen Abend. Wir wollen hören, wie Menschen in anderen Ländern das Jahr beenden.“

Einige Vorschläge zur Gestaltung eines religiös-inklusiven Rituals:

Wir beginnen mit einem Moment der kollektiven Stille. Eine Klangschale wird angestoßen. Eine Kerze wird entzündet. Alle Mitglieder der Schulgemeinschaft schweigen einen Moment. Es ist vielleicht das erste Mal im Kalenderjahr, dass die große Schulgemeinschaft eine Minute lang still ist.

Wir halten Rückschau: Nach einer Begrüßung durch eine Schülerin oder einen Schüler kommen einzelne Mitglieder der Schulgemeinschaft zu Wort. Sie erzählen in ganz kurzen Statements von prägenden Erfahrungen des Jahres.

Wir gedenken der Abschiede und Neuanfänge: Es wird der verstorbenen Mitglieder der Schulgemeinschaft gedacht. Ihre Namen werden verlesen. Statt eines Gebetes wird ihrer schweigend gedacht. Menschen, die in Sorge sind, werden gestärkt. Wer ist in diesem Schuljahr zu uns gekommen?

Wir hören auf Traditionen anderer. Menschen mit Migrationsgeschichte erzählen. Wie war Weihnachten in der alten Heimat? Großeltern oder Urgroßeltern berichten von Weihnachtsfesten vergangener Jahrzehnte. Wir lassen uns anregen von der Geschichte der Menschen, die bei uns wohnen.

Wir pflegen Narrative, die uns verbinden: Die biblische Weihnachtsgeschichte wird verlesen: „Das ist, was Christinnen und Christen in ihrer Bibel lesen.“ Mindestens ein Text einer anderen religiösen Traditionen wird verlesen. Auch der Koran erzählt von Maria.

Friedensritual: Alle Menschen wünsche sich Frieden. Friedenstauben werden in der Mitte abgelegt.

Aufbruch und Neubeginn: Die ältesten Schülerinnen und Schüler, die sich nun vor allem um ihre Abschlussprüfungen oder Abschlussfeiern kümmern werden, übergeben ein Licht an die jüngsten Jahrgänge.

Ein gemeinsames Weihnachtslied oder ein Mottolied der Schule wird gesungen. Ein Gesang will in den ersten Jahren vielleicht nicht gelingen, aber gerade dieser Teil eines vorweihnachtlichen Rituals wird nachhaltig in Erinnerung bleiben.

Abschied und gute Wünsche für das neue Jahr. Dies ist der Ort, an dem die Schulleiterin oder der Schulleiter ihre oder seine Abschiedsworte spricht.

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