„Einigkeit und Recht und Freiheit.“ Wie wertvoll diese Werte sind, zeigt uns gerade die europäische Gegenwart.

Horst Heller CC BY-SA 4.0 (Verwendung unter Namensnennung und gleichen Bedingungen ausdrücklich erlaubt.)
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Der Weg durch die Geschichte dieses Liedes ist so gewunden wie die deutsche Geschichte selbst. Das Lied der Deutschen, dessen Text Hoffmann von Fallersleben im August 1841 auf der damals englischen Insel Helgoland verfasste, wurde am 11. August 1922 von Friedrich Ebert zur deutschen Nationalhymne erhoben. Der Reichspräsident begründete das mit den ersten Worten der dritten Strophe. Der Dreiklang aus Einigkeit und Recht und Freiheit sollte in Zeiten innerer Zersplitterung Ausdruck des Gemeinsinns sein und die Deutschen auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft begleiten.

Wie wir wissen, setzte die Weimarer Republik bei Recht und Freiheit fortschrittliche Akzente. An der Einheit scheiterte sie. Die erste Demokratie in Deutschland war nicht in der Lage, die gegensätzlichen politischen Lager miteinander zu versöhnen. 1933 erzwang die nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland die Einheit um den Preis, dass Recht und Freiheit abgeschafft wurden. Mit der Diktatur veränderte sich die Kultur des Deutschlandlieds. Nun wurde nur noch die erste Strophe Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt gesungen (und das „Horst Wessel Lied“ angeschlossen). Bei der getragenen Melodie von Joseph Haydn (Hob. III:77) galt es nun vor allem strammzustehen.

Konrad Adenauer sah im Lied der Deutschen die Chance, die Konservativen der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft an seine Partei zu binden. Noch bevor Theodor Heuss im Mai 1952 das Deutschlandlied widerwillig zur Nationalhymne erklärte, ließ der Bundeskanzler die dritte Strophe bei offiziellen Anlässen singen. Knapp vierzig Jahre später wurden in den neuen Bundesländern Überlegungen zu einer neuen gesamtdeutschen Hymne angestellt, denn die Nationalhymnen der beiden Staaten waren musikalisch kompatibel. Helmut Kohl wies solche Wünsche brüsk zurück. Auferstanden aus Ruinen sollte nie mehr offiziell erklingen. Symbole der DDR hatten im vereinigten Deutschland für ihn nichts zu suchen, ausgenommen vielleicht der Grüne Pfeil für Rechtsabbieger.

Reichspräsident Ebert verband mit dem Deutschlandlied die Hoffnung auf Überwindung der gesellschaftlichen Spaltung, die Nationalsozialisten nutzten es, um das ganze Volk gefügig zu machen und hinter sich zu versammeln. Adenauer wollte das Lied der Deutschen, weil es ihm die Traditionalisten zuführte. Und für Helmut Kohl war die Durchsetzung der Hymne des Westens ein Ausdruck des Sieges über das System des Kommunismus.
Welche Gedanken verband der Dichter selbst mit seinem Lied?

Heinrich Hoffmann von Fallersleben war seit 1835 Professor für Germanistik an der Universität Breslau und sympathisierte zugleich mit den Revolutionären der 1830er Jahre. Er war durchaus kein Adeliger. Den Beinamen von Fallersleben hatte er sich während seines Studiums selbst zugelegt, um nicht mit anderen Schriftstellern gleichen Namens verwechselt zu werden. Dass das nicht ohne Grund geschah, beweist ein Blick auf den elf Jahre jüngeren Psychiater und Autor Heinrich Hoffmann und dessen Struwwelpeter.

Die Karriere des Hoffmann von Fallersleben war bis 1940 ununbterbrochen aufwärts verlaufen. Doch in diesem Jahr veröffentlichte er in Hamburg den ersten Band seiner Unpolitischen Lieder, in denen er – ganz und gar nicht unpolitisch – die Zustände in Deutschland kritisierte. Die preußische Zensur verbot kurzerhand diese Sammlung seiner 140 Gedichte. Doch damit hatte sein Leidensweg gerade erst begonnen. Im Jahr 1842 wurde er aus dem Staatsdienst entlassen und sein Pensionsanspruch gestrichen. Im Jahr darauf entzog ihm die Regierung zudem die Staatsbürgerschaft und verwies ihn des Landes. Sechs Jahre suchte der entlassende Professor an vielen Orten Zuflucht, wurde 39 mal ausgewiesen, allein dreimal aus seinem eigenen Geburtsort Fallersleben bei Wolfsburg. Der Staat reagierte kompromisslos-obrigkeitlich auf die Sehnsucht nach Freiheit und Rechtsstaat.

Im Sommer 1841 hatte sich Hoffmann von Fallersleben zu einem Treffen mit Gleichgesinnten nach Helgoland zurückgezogen, das damals zum Vereinigten Königreich gehörte. Zu diesem Zeitpunkt war er noch preußischer Staatsbürger, aber ein Treffen mit Liberalen fand besser außerhalb der Grenzen des Deutschen Reiches statt. Am 23. August waren die Freunde, mit denen der Professor fröhlich gefeiert hatte, abgereist. In seiner Biografie schreibt er, wie er sich in den Tagen danach fühlte:

Das Wetter war schön, schöner noch die Erinnerung an diese lieben Leute …, die mir so herzliche Teilnahme bewiesen hatten. Den ersten Augenblick schien mir Helgoland wie ausgestorben, ich fühlte mich sehr verwaist. Und doch tat mir bald die Einsamkeit recht wohl: ich freute mich, dass ich nach den unruhigen Tagen wieder einmal auch mir gehören durfte. Wenn ich dann so wandelte einsam auf der Klippe, nichts als Meer und Himmel um mich sah, da ward mir so eigen zu Mute; ich musste dichten, wenn ich es auch nicht gewollt hätte. So entstand am 26. August das Lied Deutschland, Deutschland über alles.

Das Lied, dass er bereits drei Tage später an den Verleger Campe (Hoffmann und Campe) verkaufen konnte, war ein Sehnsuchtslied nach einer deutschen Heimat, in der es keine Willkür der Fürsten, keine Kleinstaaterei und keine Zensur mehr geben sollte. Dass die Landesherren durch Gottes Gnade zu Herrschern eingesetzt seien und dass es deshalb keiner Parlamente, keiner Gewaltenteilung und keiner Verfassung bedurfte, galt in Deutschland inzwischen als Staatmodell der Vergangenheit. Überall wurden demokratische Fortschritte eingefordert.

Die Grenzen Deutschlands markierte der Dichter mit den Flüssen Maas, Memel, Etsch und der Meeresenge Belt. Sie liegen alle jenseits der Grenzen des heutigen Deutschlands und rührten schon damals an Ansprüche der Nachbarn des Deutschen Reiches. Das Lied der Deutschen formuliert zwar keinen Besitzanspruch, preist aber doch die geografische Ausdehnung der Nation. Es ist unverkennbar, dass der Autor deutschnational gesinnt war. Die Sehnsucht nach Bürgerrechten und ein großdeutscher Nationalismus waren damals kein Widerspruch. Auch nach seiner Rehabilitierung im Jahr 1849 tat er sich mit antifranzösischen Äußerungen hervor. Sogar schlimme antisemitische Zeilen stammen aus seiner Feder.

Das Lied der Deutschen ist also an seiner Wirkungsgeschichte nicht ganz unschuldig. Diese weist die gleichen dunklen Schatten auf wie die deutsche Geschichte der letzten 200 Jahre. Insofern war es sicher gut, wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker seine Entscheidung für dieses Lied begründete. Am 19. August 1991 schrieb er an Bundeskanzler Helmut Kohl, die dritte Strophe des Hoffmann-Haydn’schen Liedes bringe die Werte verbindlich zum Ausdruck, denen wir uns als Deutsche, als Europäer und als Teil der Völkergemeinschaft verpflichtet fühlten. „Die dritte Strophe des Liedes der Deutschen von Hoffmann von Fallersleben mit der Melodie von Joseph Haydn ist die Nationalhymne für das deutsche Volk.“

Einigkeit und Recht und Freiheit. Wie wertvoll sie sind und wie verheerend Nationalismus und Imperialismus für Menschen, Staaten, Völker und den Weltfrieden sind, lehrt uns die Geschichte der Nationalhymne und die europäische Gegenwart.

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