
Heute habe ich verstanden, was der am Weihnachtstag des vergangenen Jahres verstorbene Erzbischof meinte. In seinem Gesprächen mit dem Dalai Lama erzählte er von der Ermordung von Chris Hani, eines prominenten Mitglieds des African National Congress. In den Verhandlungen um das Ende der Apartheid hatte er zwischen den Forderungen radikaler Schwarzer und den weißen Noch-Machthabern vermittelt. Mit ihm schien ein friedlicher Übergang möglich, Nelson Mandela setzte auf seine Autorität. Doch Hani wurde ermordet, weil Gegner der Gerechtigkeit Kompromisse erschweren und eine friedliche Einigung verhindern wollten.
Tutu erzählt: „Ein Optimist hätte nach der Mord sicher gesagt: ,Also mit der Ermordung Chris Hanis ist wirklich alles zu Ende.‘ Dass die Leute weitermachen wollten und mit aller Kraft daran festhielten, war kein Optimismus, sondern Hoffnung, … unauslöschliche Hoffnung.“
Ich selbst war (und bin noch immer) ein Optimist, weil ich fest daran glaube, dass Optimisten ein bisschen glücklicher in dieser Welt leben und die Chance auf glückliche Wendungen manchmal erhöhen. Doch die Optimisten können – wie in unseren Tagen geschehen – durch die Bosheit einzelner Menschen ins Unrecht gesetzt werden. Ihr Optimismus ist anfällig, er lebt davon, dass die Verhältnisse eine Wendung zum Guten noch möglich erscheinen lassen. Hoffnung, so Tutu, fußt aber nicht auf einer Einschätzung des Ist-Zustands, sondern auf einem festen Grund von Überzeugungen. „Ich glaube“, so der verstorbene Erzbischof, „mit unerschütterlichem Vertrauen, dass es nie eine Situation geben wird, die absolut und völlig hoffnungslos ist. Hoffnung ist es etwas Tiefes und fast Unzerstörbares.“
Diese Sätze sind wie für diese Tage niedergeschrieben. Ich will künftig auch ein Hoffender sein.

Dalai Lama, Desmond Tutu und Douglas Abrams: Das Buch der Freude, München, 2016
Das Buch ist die Schilderung eines Besuches des verstorbenen Erzbischofs bei Tenzin Gyatso, dem Dalai Lama, in seinem indischen Exil. Tutu war damals 83 Jahre alt, das Oberhaupt des tibetanischen Buddhismus feierte während des Besuches seinen 80. Geburtstag. In einem sehr persönlichen religiös-philosophischen Dialog tauschten sie sich über existentielle Grundfragen des Menschseins aus. Ihre eigenen Leidenswege waren dabei immer präsent. Der Dalai Lama blickte auf seine Flucht aus Tibet vor über 50 Jahren zurück, der Erzbischof auf den langen Kampf gegen die Apartheid in seinem Land. In mehreren Gesprächsrunden reflektierten sie über Leid und Freude, über Angst und Hoffnung, über Leben, Tod und Zukunft und feierten ihre Freundschaft, die die Grenzen von Religionen und Kulturen überwand. Angeregt wurden sie durch Fragen, die ihnen im Vorfeld des Zusammentreffens von Menschen jeden Alters aus der ganzen Welt gestellt worden waren. Der amerikanische Autor Douglas Abrams moderierte den fünftägigen Diskurs der beiden Persönlichkeiten. In den Monaten danach schrieb er zusammen mit ihnen das „Buch der Freude“, in dem er von dem Zusammentreffen der beiden Freunde berichtet und die Gespräche der beiden nacherzählt.
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04.04.2021: Vater und Sohn. Wie Erich Ohser der Diktatur listig die Stirn bot und den Kampf dennoch tragisch verlor
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27.02.2022: Optimismus kann zerstört werden, Hoffnung aber hat die Kraft, Bosheit zu überleben. Desmond Tutu, mein kluger Lehrmeister.
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09.04.2022: Lichter, Tauben, achtsam gehen. Als die ganze Schule den Frieden herbeisehnte. Ein inklusiv-christliches Ritual
24.04.2022: Himmel, Hölle und Humor. Wie Desmond Tutu erst Späße über das Jüngste Gericht macht und dann die Gretchenfrage stellt.