„Du bist der Präsident!“ Was die Rettung der Tiger mit Generationengerechtigkeit zu tun hat.

Im vergangenen Jahr erschien der erste Band von Barack Obamas Präsidentschaftserinnerungen. Er erzählt darin sehr persönlich von seinem Weg vom jungen Mann auf der Suche nach einer Identität bis hin zum 44. und ersten farbigen Präsidenten der USA. Besonders eindrücklich sind die Beschreibungen des Balanceaktes, seinen Idealen und Werten treu zu bleiben, als er unvermittelt auf der Weltbühne stand und Macht in seinen Händen hielt.

Das Buch ist außerordentlich lesenswert. Als Präsident, der ständig auf der Suche nach Mehrheiten war, wusste er doch um seine wichtigeste Aufgabe, nämlich in den Jahren seiner Präsidentschaft nicht vorrangig an seine Partei, sein Ansehen und seine Wiederwahl zu denken, sondern an das Wohl der nächsten und übernachsten Generation. Darin unterschied er sich von seinem Vorgänger, aber besonders von seinem Nachfolger im Amt. Mehrfach erzählt Obama, dass ihn kluge Gedanken seiner beiden Töchter nachdenklich machten.

Im Herbst 2009 bereitete er sich auf die Klimakonferenz in Kopenhagen vor, auf der ein völkerrechtlich verpflichtender Beschluss zur Begrenzung der Erderwärmung erreicht werden sollte. Im Vorfeld der Beratungen schildert er ein Anliegen seiner 11-jährigen Tochter. Das Gespräch mit ihr illustriert die Verantwortung der Erwachsenengeneration für eine Welt von morgen, in der die Kinder von heute noch leben, wenn die Erwachsenen schon nicht mehr sind.

Vor der Reise fragte mich Malia, was ich für die Tiger tun könne.
„Wie meinst du das, Spatz?
Du weißt doch, das sind meine Lieblingstiere. … Es ist nämlich so“, fuhr Malia fort, „ich habe in der Schule ein Referat über Tiger gehalten, und ihr Lebensraum ist bedroht, weil die Menschen die Wälder abholzen. Und es wird noch schlimmer, weil der Planet wegen der Umweltverschmutzung immer wärmer wird. Außerdem gibt es Menschen, die Tiger jagen und töten, weil sie ihr Fell und ihre Knochen und alles Mögliche verkaufen. Deshalb sind Tiger vom Aussterben bedroht, und das wäre schrecklich. Und weil du doch der Präsident bist, musst du versuchen, sie zu retten.“
„Du musst was tun, Daddy“, fiel Sasha mit ein. Ich schaute Michelle an, und sie zuckte mit den Achseln. „Du bist der Präsident“, sagte sie.

Die Klimakonferenz endete mit einem Minimalkonsens. Die Staatslenker waren vorangekommen, ein Durchbruch hingegen ausgeblieben.

Es war schon spät, als ich im Weißen Haus eintraf. Michelle lag im Bett und las. Ich erzählte ihr von meiner Reise und erkundigte mich nach den Mädchen. „Sie sind wegen dem Schnee total aus dem Häuschen“, sagte sie. „Ich weniger.“
Sie grinste mich mitfühlend an. „Malia wird dich beim Frühstück vermutlich fragen, ob du die Tiger gerettet hast.“
Ich nickte und nahm die Krawatte ab.
„Ich arbeite daran.“

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