
Horst Heller (CC BY)
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Am 19. März wird der katholische Theologe, Publizist und Gründer der Stiftung Weltethos seinen 93. Geburtstag feiern. Kurz vor dem Weihnachtfest des Jahres 1979 war ihm vom zuständigen Rottenberger Bischof auf Veranlassung der römischen Glaubenskongregation die kirchliche Lehrbefugnis entzogen worden. Seinen Tübinger Lehrstuhl für katholische systematische Theologie musste er deshalb aufgeben. Sein Priesteramt konnte er immerhin weiter ausüben.
Dies geschah, als ich selbst, ein 22-jähriger Theologiestudent, in Tübingen lernte. Aus dieser Zeit ist mir nur sehr wenig so genau in Erinnerung geblieben wie die Stimmung dieser Tage. Die damals große und konfessionell bunte Tübinger Theologen-Community wertete die Entscheidung gegen Küng mehrheitlich als den Versuch, liberale und reformorientierte Stimmen in der katholischen Kirche zum Schweigen zu bringen. In Papst Johannes Paul II., erst ein gutes Jahr auf dem Stuhl Petri, sah sie den Protagonisten einer Kehrtwende zurück in die Vergangenheit.
Eine der wenigen konkreten Erinnerungen an die Diskussionen zu den Ereignissen des Winters 1979/80 habe ich an einen Seminarabend in unserer Wohngemeinschaft. Der Papst, so wurde damals votiert, weigerte sich, die Reformbedürftigkeit seiner Kirche anzuerkennen und machte sich daran, fortschrittliche Änderungen rückgängig zu machen. Ein katholischer Dozent, dessen Namen mir entfallen ist, saß – wie es damals normal war – auf Kissen in dem größten Zimmer unserer Wohnung und sagte: „Ja, dieser …“ – Er nannte den neuen Papst mit seinem bürgerlichen Namen Wojtyla – „… wird uns wohl noch eine ganze Zeit erhalten bleiben.“ Er sollte Recht behalten.
Diese Ereignisse liegen nun über 40 Jahre zurück. Zwei weitere Päpste sind seither in den Vatikan eingezogen und Hans Küng hat seine umfangreiche Autobiografie veröffentlicht. Im Jahr 2013 erschien der dritte Band „Erlebte Menschlichkeit“, in dem er neben der verdienstvollen Arbeit seiner Stiftung Weltethos ausführlich den vergeblichen Kampf um seine Rehabilitation beschreibt. Bedrückend wirkt die lakonische Notiz, dass Johannes Paul bis zu seinem Tod im Jahr 2005 ein geschwisterliches oder wissenschaftliches Gespräch mit ihm verweigert habe. Er berichtet, dass er auch auf seinen handschriftlichen Brief an Papst Johannes Paul vom 25. August 1980 („Ich bin und bleibe zu einem solchen Gespräch bereit, wann und wo immer Sie es wollen.“) nie eine Antwort erhalten habe. Sein Fazit: „Es wäre sinnlos, täglich Tränen zu vergießen, weil der gegenwärtige Papst mich nicht schätzt und mich nie einer Antwort würdigt (S. 18).“
Berührend hingegen ist sein Bericht des Zusammentreffens mit Joseph Ratzinger, nachdem dieser im Frühjahr 2005 als Benedikt XVI. zum Nachfolger des polnischen Papstes gewählt worden war. Küng und Ratzinger, fast gleichaltrig, kannten sich bereits seit Jahrzehnten. Beiden waren Theologieprofessoren in Tübingen und Konzilsberater unter Johannes XXIII. Dennoch reagierte Küng überrascht, dass Benedikt auf seine Bitte vom 30. Mai 2005 freundlich antwortete und ihn noch im ersten Jahr seines Pontifikat nach Castel Gandolfo einlud. Eines bat sich Benedikt allerdings zuvor in einem langen Schreiben unzweideutig aus: In diesem Gespräch dürfe Küng nicht um die Rückgabe der Missio Canonica bitten. Dies müsse, wenn es denn beraten werden solle, in die Hand der zuständigen Gremien und der verantwortlichen Bischöfe liegen. Ein freundschaftliches Gespräch zweier ehemaliger Konzilstheologen sei dafür nicht der richtige Ort. Küng willigte ein und reiste nach Rom, wo er tatsächlich ein vierstündiges Gespräch mit Benedikt führen durfte. Die beiden Männer, ehemals kollegiale Wissenschaftler und nun theologische Gegner, saßen zusammen, sprachen über die Lage der Kirche, gingen nebeneinander im Park spazieren und aßen schließlich zusammen zu Abend. Dann verabschiedeten sie sich in gegenseitiger Wertschätzung. Küngs Schilderung dieses Tages (S. 552 ff.) erinnert an das Treffen zweier Menschen, die in früheren Tagen Freunde gewesen waren und vor ihrem Wiedersehen beschlossen haben, das große Thema, das sie auseinandergebracht hat, zu meiden.

Wenn Küng gehofft hatte, der Tag in Castel Gandolfo könne einen Prozess der Verständigung in seiner Sache in Gang setzen, so wird ihn der Fortgang der Ereignisse enttäuscht haben. Denn nicht nur in diesem Gespräch, sondern auch in den acht Jahre währenden Pontifikat Benedikts gab es in der Causa Küng keine Bewegung.
Acht Jahre nach seinem Treffen mit Papst Benedikt gab der Tübinger Gelehrte alle Ehrenämter ab, die er bis dahin noch innegehabt hatte. Im selben Jahr stieg auch Benedikt von Heiligen Stuhl und lebt seither als Papa Emeritus im Vatikan. Sein Nachfolger Franziskus sandte Küng unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine handgeschriebene Grußkarte als Dank für zwei Bücher, die jener ihm geschickt hatte: „Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit. Ich bleibe zu Ihrer Verfügung. Ich bitte Sie: Beten Sie für mich. Ich habe es nötig. (S. 675).“
Seit diesem kurzen Briefwechsel mit Papst Franziskus sind weitere acht Jahre ins Land gegangen. Schon in seinem Schreiben an Papst Benedikt (2005) hatte Küng festgehalten: „Und allzu viele Jahre sind uns Altersgenossen und früheren Tübinger Kollegen jetzt ohnehin nicht mehr geschenkt (S. 552).“ Dass es in den Streitfragen der späten 1970er Jahre bis heute keine Einigung gibt, ist traurig. Es wäre allemal Zeit genug gewesen, lösungsorientierte Gespräche zu führen. Sie fanden nicht statt. Küng hat sich nun aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, aber er ist noch am Leben. Noch ist es möglich, auf ihn, einen der profiliertesten deutschsprachigen Theologen der letzten Jahrzehnte, der sich noch immer als Katholik versteht, in Würdigung seiner wissenschaftlichen Verdienste um die Theologie, die Kirche, die Ökumene und den interreligiösen Dialog mit einer großmütigen und unzweideutigen Geste der Barmherzigkeit zuzugehen.
Franziskus hat sich immer wieder zur Barmherzigkeit geäußert, ja diesen Grundwert christlicher Ethik zum Motto seines Pontifikats gemacht. Die deutschsprachige Ausgabe von Vatikan-News berichtete über eine Generalaudienz vom 18.03.2020, als der Papst die Seligpreisung „Selig sind die Barmherzigen; denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. (Mt 5,7)“ auslegte. Er führte aus: „Diejenigen, die Barmherzigkeit ausüben, werden Erbarmen finden, sie werden sozusagen verbarmherzigt werden.“ Und er schließt mit den Worten: „Die Barmherzigkeit ist das Herz Gottes selbst!“ Quelle
Anlässlich von Küngs 90. Geburtstags hat der Deutschlandfunk im März 2018 den Tübinger Gelehrten in einen ausführlichen Beitrag gewürdigt. Er schließt mit den Worten: „Wenngleich er sich durchaus als „katholischer Reformer“ und „ökumenischer Unruhestifter“ bezeichnen lässt, sähe es Hans Küng doch gerne, wenn die römische Kirche seine Verurteilung von einst noch zu seinen Lebzeiten aufheben würde.“ Quelle
Dem ist nichts hinzuzufügen.

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wird fortgesetzt
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