
Wer nur wenige Kompositionen klassischer Musik kennt, der hat aber doch die Melodien der Air von Bach, den Beginn von Mozarts 40. Sinfonie und das Dadada-daaaa! von Beethovens Fünfter auf den Lippen.
Dass sie den Namen Schicksalssinfonie erhalten hat, geht auf eine Überlieferung zurück, die wahrscheinlich keinen historischen Wahrheitsgehalt hat. Sie ist es nicht wert, hier erzählt zu werden. Denn Beethovens Fünfte hatte es nie nötig, durch Marketing ein bestimmtes Image verpasst zu bekommen.
Gute und böse Menschen liebten und lieben Beethoven zu allen Zeiten. Deshalb kann der Komponist auch nichts dafür, dass die Nationalsozialisten seine Sinfonien besonders schätzten. Vier der fünf am häufigsten aufgeführten sinfonischen Werke in den Jahren 1941 bis 1943 (wenn man die Spielpläne der Häuser als Maßstab nehmen darf) waren Beethovenwerke. Die nationalsozialistische Kulturpolitik (wenn sie denn diesen Namen überhaupt verdient hat) sah in Beethovens Musik die musikalische Verkörperung des deutschen Heldentums. Die 5. Sinfonie war wohl deshalb doppelt so häufig angesetzt wie in den Jahren zuvor. Pech nur, dass diese Rechnung ohne den Komponisten gemacht worden war. Denn Beethovens Fünfte war ist und keine Hommage an den deutschen Nationalismus, sondern eher eine musikalische Verarbeitung von Motiven der Französischen Revolution. Und mit der wollten die Nazis ja nichts zu tun haben.

Meine Lieblingsstelle der 5. Sinfonie
Mein Favorit sind nicht die ersten vier Töne der Sinfonie, obwohl dieser auftaktiger Beginn revolutionär ist: Eine Fermate bereits im 2. Takt einer Sinfonie! Ein Unisono-Motiv, das zunächst die Tonart offen lässt: Ist es c-Moll? Ist es Es-Dur? Es späche vieles für diesen berühmten Beginn des ersten Satzes. Doch ich habe mich für das Fugato im dritten Satz, dem Scherzo, entschieden, das das übliche Trio an dieser Stelle ersetzt. Die Celli beginnen, die Violinen beteiligen sich, dann wirken auch die Bläser mit.
Quoting Beethoven – Was der Komponist selbst schreibt
In einem kurzen Schreiben von 4. März 1809 an seinem Verleger in Leipzig kündigt Beethoven kleine Korrekturen seiner Sinfonien fünf und sechs an. Er habe sie ja noch nicht gehört gehabt, als er sie zur Veröffentlichung versendet habe. Außerdem fragt er, ob der Verlag Interesse an einer Bearbeitung für zwei Klaviere habe. Die Metaphern, die er in diesem Schreiben verwendet, sprechen dafür, dass er – zumindest in dieser Zeit – nicht von Selbstzweifeln geplagt war
Sie erhalten Morgen eine Anzeige von kleinen Verbesserungen, welche ich während der Aufführung der Sinfonien machte. Als ich sie ihnen gab, hatte ich noch keine davon gehört – und man muss nicht so göttlich sein wollen, etwas hier oder da in seinen Schöpfungen zu verbessern. Hr. Stein [möglicherweise Friedrich Stein, ein Pianist] trägt Ihnen an, die Sinfonien zu 2 Klavier zu übersetzen. Schreiben sie mir, ob sie das wollen … und honorieren wollen? Ich empfehle mich Ihnen bestens und bin in Eile
Ihr ergebenster Freund LvBthwn (Quelle)
Beethoven 5, mal anders
Literatur:
Eleonore Büning, Sprechen wir über Beethoven. Ein Musikverführer, Salzburg und München 2018
Clemency Burton-Hill, Ein Jahr voller Wunder. Klassische Musik für jeden Tag, Zürich 2019
Michael Ladenburger, Beethoven zum Vergnügen. Ditzingen 2020
Weitere Lesetipps:
Die Wahrheit über die „Schicksalssinfonie“ https://www.dw.com/de/beethovens-f%C3%BCnfte-die-wahrheit-%C3%BCber-die-schicksalssinfonie/a-45386830
Eine Bachelor-Arbeit von Moritz Hoffmann über die Beethoven-Rezeption in der Zeit des Nationalsozialismus: https://www.moritz-hoffmann.de/wp-content/uploads/2015/10/moritz_hoffmann-beethoven_im_dritten_reich.pdf
Mein Beethovenjahr auf www.horstheller.de
01.03.2020: The King’s Speech und die Sprechhemmungen des Königs: Beethovens Siebte – Mein Beethovenjahr 1/12
29.03.2020: Die Sinfonie, die mit einem Dominantseptakkord beginnt. Beethovens Erste – eine charmante Provokateurin – Mein Beethovenjahr 2/12
24.05.2020: Tonmalerei galt als Todsünde des Komponierens. Beethoven war das egal. Für Götter galten solche Regeln nicht. Beethovens Sechste, die Pastorale – Mein Beethovenjahr 3/12
28.06.2020: Die Gute-Laune-Sinfonie zwischen den Titanen: Beethovens Achte – Mein Beethovenjahr 4/12
23.08.2020: Die „Sinfonia grande“, auf deren Deckblatt jemand heftig radiert haben muss: Beethovens Eroica – Mein Beethovenjahr 5/12
16.09.2020: „Noch 10 Minuten, dann sind wir fertig.“ Das Beethoven-Portrait Joseph Stielers wirkt bis heute nach. Mein Beethovenjahr 6/12
04.10.2020: Freude schöner Götterfunken: Bis 1990 verlief die innerdeutsche Grenze genau bei Takt 697 der Ode an die Freude. Beethovens Neunte – Mein Beethovenjahr 7/12
18.10.2020: „Der angestochene Lindwurm, der nicht ersterben wollte.“ Die Sinfonie, die das Publikum erschreckte, gilt heute als graue Maus – zu Unrecht: Beethoven Zweite – Mein Beethovenjahr 8/12
13.12.2020: War Beethovens Metronom in Reparatur? Das Rätsel um das teuflische Tempo im Schlusssatz von Beethovens Vierter – Mein Beethovenjahr 9/12
16.12.2020: Beethoven hätte das digitale Format seiner Geburtstagsfeier begrüßt. Wer die musikalische Form bis an ihre Grenzen ausdehnt, hätte auch Freude an Konzerten im Internet gehabt. – Mein Beethovenjahr 10/12
17.12.2020: Beethoven war nicht der Hero, den die Nachwelt aus ihm gemacht hat. Mehr zu Beethoven-Darstellungen zu seinen Sinfonien – Mein Beethovenjahr 11/12
20.12.2020: Da – da – da – daaaa! Das vielleicht bekannteste Motiv der Musikgeschichte erklang wenige Tage vor dem Weihnachtsfest 1808 zum ersten Mal: Beethovens Fünfte – Mein Beethovenjahr 12/12
18.04.2021: „Ich glaube nicht an Wunder, aber mir sind schon einige widerfahren. Ein Plädoyer für eine aufmerksame Spurensuche
09.05.2021: „Von Politik verstehe ich nicht viel. Sophie Scholl zeigt, dass auch ein vermeintlich unpolitischer Mensche in der Lage ist für das Recht einzutreten.