Warum wir auf das Wort Mission verzichten sollten. Zu den optimistischen Leitsätzen der EKD (2/5)

Mehr Austritte, weniger Taufen, weniger Mitglieder, weniger Einnahmen. Das sind die kirchlichen Schlagzeilen dieses Sommers. Die Evangelischen werden weniger. Dieser Trend ist nicht neu, aber er hat sich in jüngster Zeit verstärkt und in der Pandemie einen Katalysator gefunden. Noch haben die 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland die Möglichkeit, ihre Struktur und ihr Erscheinungsbild zu gestalten. Sie können und müssen diesen Prozess selbst angehen. Kein Lehramt des Vatikans und keine Bischofssynode in Rom wird ihnen dafür Vorgaben machen.

Vor drei Jahren hat ein Z-Team (Z steht für Zukunft) im Auftrag der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) den Auftrag angenommen, Visionen und Perspektiven für die evangelische Kirche zu entwerfen. Das Ergebnis liegt nun in Form von elf Leitsätzen vor. Sie beschreiben die Herausforderungen mit Klarheit und Präzision, weichen kritischen Folgerungen nicht aus, bleiben aber an einigen Stellen vage und lassen wenigstens einen wichtigen Aspekt außer Acht. Auf ihrer Webseite hat die EKD aufgefordert, die Leitsätze zu diskutieren und zu kommentieren. Dieser Blogbeitrag kommt dieser Bitte nach und will ein Gesprächsbeitrag sein.

Evangelische Kirche in Deutschland, Elf Leitsätze für eine aufgeschlossene Kirche (2020)

Zehn Kommentare

1. Die Krise ist da. Wir sollten die Situation nicht länger schönreden.
2. Wir müssen endlich das Potential der Ökumene nutzen.

3. Warum wir uns von dem Wort Mission verabschieden sollten
„Bei der Klärung kirchlicher Zukunftsprozesse leitet uns die Frage, was der Kommunikation des Evangeliums … unter den sich verändernden Bedingungen dienlich ist und was nicht (S. 2, Z. 63 ff.).“ Wenn die Kirche öffentlich sichtbar tätig ist, müsse erkennbar bleiben, dass sie einen geistlichen Auftrag hat und dass ihr Handeln keinesfalls selbstbezogen oder auf den eigenen Vorteil bedacht ist.

In diesem Zusammenhang thematisieren die Leitsätze auch die missionarische Dimension kirchlichen Lebens. Mission solle „partnerschaftlicher, dialogischer und situativer (S. 4, Z 144)“ werden. Diesem Ziel ist grundsätzlich zuzustimmen. „Sprachfähigkeit“ in Dingen des Glaubens, „Dialogbereitschaft“ (S. 4, Z. 145) sowie Authentizität des Zeugnisses sind heue wichtiger denn je. Deshalb kann auch die Kommunikation der Kirche mit der nichtkirchlichen Welt keine Einweg-Kommunikation sein. Von der Kirche Angesprochene sollen mehr sein als Empfängerinnen und Empfänger einer Botschaft. In der Didaktik des Religionsunterrichts ist die Ausbildung von Sprachfähigkeit und Dialogkompetenz sowie die Bedeutung der Authentizität der Lehrperson längst Konsens, wenngleich leider noch nicht überall Praxis. Für die gottesdienstliche und Kasualpraxis stellen sich aber Fragen: Eine Predigt ist eine Rede. Interaktivität und Dialog müssen sich an anderer Stelle ereignen, damit die am Gottesdienst Teilnehmenden auch Hörerinnen und Hörer bleiben dürfen.

Die Frage muss erlaubt sein, ob ein solchermaßen auf Dialog angelegtes authentisches kirchliches Zeugnis noch Mission genannt werden sollte. Der Begriff ist in der christlichen Theologie tief verankert. Kirche, so ist zu lesen, sei immer missionarische Kirche. Doch wenn kirchliche Texte auch von Kirchenfernen und Kirchenkritischen verstanden werden wollen, müssen sie Begriffe vermeiden, die Missverständnissen Vorschub leisten. Mission wird heute mehr denn je mit dem Versuch assoziiert, Menschen anderer religiöser Überzeugung von der eigenen Wahrheit zu überzeugen. Ein Diskurs über die Einsichten, die das Gegenüber gewonnen hat, ist nicht vorgesehen. Eine zeitgemäße Missionstheologie hat sich zwar längst von diesen Vorstellungen verabschiedet. Wenn kirchliches Handeln künftig partnerschaftlicher, dialogischer und diskursorientiert sein soll, darf es aber – der Klarheit zuliebe – auf das (theologisch ursprünglich unverdächtige) Wort Mission verzichten.

Horst Heller: LookUp statt LockDown – Die evangelische Kirche will sich erneuern. 10 Kommentar zu ihren 11 optimistischen Leitsätzen

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Elemente
25.08.2020:
1. Die Krise ist da. Wir sollten die Situation nicht länger schönreden.
2. Wir müssen endlich das Potential der Ökumene nutzen
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26.08.2020
3. Warum wir uns von dem Wort Mission verabschieden sollten


27.08.2020
4. Kirchengemeinden, Pfarreien und alternative Formen der Beteiligung
5. Wer sich zur Kirche zugehörig fühlt


28.08.2020
6. Kirchliche Bildungsarbeit: Schwachpunkt und verpasste Chance


29.08.2020
7. Klarheit, Wahrheit, Formelkompromisse und Blauäugigkeit. Das Papier hat weitere Stärken und Schwächen.
8. Die Aufgabenverteilung zwischen EKD und Landeskirchen
9. Weniger, aber das Wichtige tun
10. Ein Fazit und eine Hoffnung

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