
„Datemi il conto della lavandaia e vi metterò in musica anche quello.“ Gioachino Rossini wusste, die Menschen mit berührender Musik zu unterhalten. Seine Melodien gefielen nicht nur den Gebildeten seiner Zeit. Deshalb war der fleißige und geschäftstüchtige Musiker auch der erfolgreichste Komponist seiner Zeit. Nicht einmal Beethoven konnte umhin, ihm seinen Respekt zu zollen. Doch schon mit 37 Jahren beendete Rossini seine Karriere fast vollständig. In der zweiten Hälfte seines Lebens fügte er seinem Œuvre nur noch weniges hinzu, darunter seine Petite Messe solennelle. die er für eine kammermusikalische Besetzung komponierte.
Sie sah vier Gesangssolisten, einen Chor, zwei Klaviere und ein Harmonium, aber keine weiteren Instrumente vor. Ohne innere Überzeugung erarbeitete er aber dennoch eine Orchesterfassung, weil er verhindern wollte, dass irgendein fremder Komponist sein Werk entstellte. Weil es irgendwann sowieso eine Orchesterfassung geben würde, so wollte er sie selbst schreiben. „Findet man dieses mein Alterswerk in meinem Nachlass, so kommt ein Adolph Sax“ – der Erfinder des Saxophons (1840) – „oder ein Hector Berlioz“, der bekanntlich riesige Orchester liebte, „und schlagen mir meine paar Singstimmen tot, womit sie auch mich endgültig umbringen würden“, so begründete er seine Entscheidung. Konsequenterweise gab er diese Fassung zu Lebzeiten nicht zur Aufführung frei.
Als Rossini sich im Jahr 1863 an die Komposition machte, lag die Premiere seiner letzten Oper, von deren Ruhm er nun schon seit vielen Jahren lebte, über 30 Jahre zurück. Als junger Mann hatte er Opern am Fließband geschrieben. Erfolge hatte er zunächst in Italien gefeiert, vor allem in Venedig, in Neapel, in Rom und Mailand. Später lag man ihm auch in London, Wien und Paris zu Füßen. Der Barbier von Sevilla und Die Italienerin in Algier lösten in ganz Europa einen wahren Hype aus. Wer die Ouvertüre der Oper La Gazza Ladra, Die diebische Elster kennt, kann noch heute nachvollziehen, dass seine Melodien nicht nur in den Opernhäusern, sondern auch beim Friseur, in den Kaffeebars und – wenn es das damals schon gegeben hätte – auch in den Fußballstadien gesungen wurden oder worden wären. Dass er mit seinen ernsten Opern nicht die gleiche Begeisterung auslöste, wird er verschmerzt haben, denn er war auch so einer der berühmtesten und angesehensten Komponisten seiner Zeit.
Gioachino Rossini war am 29. Februar 1792 in Pesaro, einer adriatischen Hafenstadt in Mittelitalien geboren, die damals zum Kirchenstaat gehörte. Er lernte Violine und Cembalo. Vor allem aber konnte er wunderbar singen, weshalb sein Onkel den Vorschlag machte, seine Sopranstimme durch Kastrierung zu erhalten. Es war sein großes Glück, dass seine Mutter das zu verhindern wusste.
Erste Kompositionen des jugendlichen Rossini entstanden in Bologna, wohin seine Eltern umgezogen waren. Er bekam Unterricht in Cello, Horn, Klavier und Komposition. Er beendete die Schule aber nicht, sondern ging nach Venedig und hatte dort 20-jährig seine ersten Erfolge.
Schon drei Jahre später wurde er zum Leiter eines der berühmtesten Opernhäuser in Italien berufen, dem Teatro San Carlo in Neapel. Er war vertraglich verpflichtet, dort jährlich eine neue Oper aufzuführen. Nebenher leitete er das Teatro del Fondo, ebenfalls in Neapel, und auch für dieses Opernhaus musste er jährlich eine Oper komponieren. Trotzdem hatte er noch Zeit, für das Opernhaus in Rom den Barbier von Sevilla und für die Mailänder Scala die Diebische Elster zu komponieren. Rossini war damals 25 Jahre alt.
Zusammen mit seiner Frau reiste Rossini nun viel, überall wurde seine Musik gespielt. In Wien kam es zu einem Zusammentreffen mit dem tauben Beethoven, der ihm Anerkennung zollte, aber nur für seine komischen Opern. „Große ernste Opern könnt ihr Italiener nicht“, soll Beethoven ihm gesagt haben. „Um das wahre Drama zu behandeln, habt ihr zu geringe musikalische Kenntnisse.“ So berichtet es Rossini selbst.
1829 schrieb er Guillaume Tell, Wilhelm Tell. Es sollte die letzte Opernkomposition seines Lebens sein.
Nun begann die zweite Hälfte seines Lebens. Er komponierte jetzt nur noch wenig. Zeitweise wirkte er als Musiklehrer und förderte Komponisten seiner Zeit. Oft wird gesagt, Rossini habe sich nun nur noch der Komposition lukullischer Köstlichkeiten gewidmet. Dass das nicht ganz stimmt, zeigt sein großes Stabat Mater, das 1842 entstand, und natürlich die Petite Messe solennelle. Es wurde seine letzte große Komposition. Rossini war da bereits 71 Jahre alt. Er nannte sie ironisch „seine letzte altersbedingte Todsünde“, die ihm der Herrgott hoffentlich verzeihe.
Die Petite Messe solennelle, die „kleine feierliche Messe“ – ist eigentlich ein Widerspruch in sich selbst. Sie ist ganz und gar nicht klein, sondern dauert fast 90 Minuten. Rossini aber hat sie selbst so genannt. Er komponierte dieses Auftragswerk für die neue Villa und deren Kapelle des Grafen Alexis Pillet-Will und seiner Frau Gräfin Louise Pillet-Will in Paris. Es wurde mit einem sehr kleinen Chor vor geladenem Publikum aufgeführt. Rossini war bei der Generalprobe selbst dabei, leitete sie aber nicht. Bei der Aufführung war er nicht anwesend. Ein Jahr später wurde das Werk dann noch einmal öffentlich aufgeführt, an gleichem Ort mit gleicher Besetzung. Es war ein großer Erfolg. Auch Komponistenkollegen waren diesmal anwesend. Sie erkannten an, dass es der alte Rossini noch drauf hatte. Opern konnte er. Das wussten sie schon. Jetzt hörten sie: Er kann auch Messen.
Der große Komponist starb 76-jährig am 13. November 1868. Er wurde in Paris bestattet. Später wurden seine sterblichen Überreste in die Kirche Santa Croce in Florenz überführt. Dort ruht er nun in der illustren Gesellschaft von Niccolò Macchiavelli, Michelangelo Buonarroti und Galileo Galilei.

Wir wissen nicht, ob ihm diese Begräbnisstätte recht gewesen wäre. Hätte er gewusst, wo er seine letzte Ruhestätte findet, hätte er darauf sicher eine humorvolle Antwort gegeben. Jedenfalls widmete es seine Petite Messe solennelle nicht nur der Gräfin Louise Pillet-Vill, sondern auch dem Herrgott selbst, in dem er auf das Autograph schrieb. „Guter Gott, hier ist sie nun, meine arme kleine Messe. Habe ich nun musica sacra (geistliche Musik) oder musica maledetta (vermaledeite Musik) geschrieben? Ich bin geboren für die komische Oper, das weißt du ja nur zu gut. Wenig Können und ein kleines Herz, das ist alles. Sei also gepriesen und gib mir ein Plätzchen im Paradies.“
Hoffen und wünschen wir ihm, dass Gott genauso viel Humor hat wie der Komponist dieses großen kleinen Werkes.
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